Letzte Aktualisierung am 17. Januar 2018
Natürlich geht das, aber sicher nicht ohne Einschränkungen. Kennt man Ray Charles, Stevie Wonder und Wolfgang Sauer, scheint diese Frage wohl überflüssig zu sein, wenn auch nicht ganz. Vor Allem, wenn es um elektronische Musik geht, ist diese Frage tatsächlich berechtigt. Das geht, aber nicht ohne Grenzen. Eine Gitarre, Schlagzeug oder Klavier sind natürlich barrierefrei spielbar. Auch analoge Synthesizer, Heim- und Kirchenorgeln der Anfangszeit und teils auch Musik-Software für das iPad, können genutzt werden. Was aber ist mit modernen Keyboards, Musik-Software und komplexen elektronischen Instrumenten?
Dass Stevie Wonder einen Fairlight eingesetzt hat, kann ich mir ebenso wenig vorstellen, als dass er ohne Hilfe mit seinen elektronischen Instrumenten komponiert hat. Anfang der 90er traf ich auf der Musikmesse einen blinden Musiker, der den damals aktuellen Voyetra Sequencer Plus mit einer Braillezeile in Verbindung mit dem Yamaha SY-99 Synthesizer erfolgreich nutzen konnte. Es gab zudem immer wieder Ansätze, die Displays von Instrumenten zugänglich zu machen, auch für einige Musik-Anwendungen gibt und gab es Anpassungen für Screenreader. Auch wenn manche behaupten, das blinde Musizieren sei kein größeres Problem, möchte ich dem enärgisch widersprechen: Es ist ein Problem und je nachdem, was man will, stößt man ohne sehende Hilfe früher oder später an Grenzen.
Dabei muss man zwischen dem Erstellen von Partituren und dem späteren Arrangieren unterscheiden. Zugängliche Notationsprogramme gibt es ebenso, wie Audio-Software. Aber die mangelnde Fähigkeit, den gesamten Workflow im Blick zu haben und alle Funktionen auswendig zu lernen, fällt mir zumindest schwer. Habe ich eine Idee, scheitert diese oftmals an der Umsetzung, weil mich irgendeine Barriere aufhält und die Suche nach der Lösung lässt mich die Idee oft vergessen. Natürlich bin ich auch kein Profi-Musiker, weshalb ich in professionelle Anwendungen nicht investiere. Und trotzdem bin ich auf der Suche, diese Bedienbarkeit, wie in der alten Zeit, wieder zu erlangen. Das habe ich inzwischen auch zum Großteil geschafft.
Selbst dann, wenn eine Software bedienbar ist, sind es die PlugIns mitunter nicht. Auch erreicht man nicht alle Funktionen eines externen Klangerzeugers und so wäre der schnelle Blick aufs Display die Lösung. Denn die Zeiten von 128 Instrumenten und 16 MIDI-Kanälen und klar definierten Parametern sind Geschichte, dazu sind moderne Instrumente einfach zu komplex geworden. Aber es gibt Hoffnung, so wächst der Markt analoger Instrumente und nachdem man in den 90ern dachte, die Zeit der Hardware sei vorbei, ist diese beliebter denn je. Auch kleine und preiswerte Instrumente mit begrenztem Funktionsumfang können Spaß machen und barrierefrei sein, wie ich im folgenden Video zeigen möchte.
Hallo,
zunächst vielen Dank für Ihren sehr interessanten Beitrag!
In dem Zusammenhang eine Frage: Ich bin blind und würde mir gerne ein möglichst leistungsfähiges Keyboard kaufen. Die allermeisten Modelle sind inzwischen nur noch über Touchscreen bedienbar. Es gibt nur von Yamaha noch ein relativ gut bedienbares Instrument, das mit normalen Knöpfen auskommt. Wissen Sie evtl. Genaueres, inwieweit mit Screenreader ein Verbinden von Keyboard und PC möglich ist? Zumindest vor einigen Jahren war die Software von Yamaha noch nicht barrierefrei. Es ist leider extrem schwierig, aktuelle
Infos zu diesem Thema zu finden.
Schon im Voraus herzlichen Dank für Ihre Mühe!
Viele Grüße
Chris
Hallo Chris, Barrierefreiheit ist für die Musikindustrie kein Thema, das wäre im Verhältnis zu den „paar wenigen“ Nutzern auch ein zu hoher ‚Aufwand. Die Instrumente verfügen ja über spezifische Betriebssysteme, die nicht mit einer TTS oder ähnliches angesteuert werden können. Bei Workstations ist das etwas anders, hier gibt es schon Möglichkeiten, Instrumente via SysEx zu steuern. Das sind aber dann keine Hoome- oder Alleinunterhalter-Keyboards, sondern es geht dann um Studioumgebungen und Musikproduktion. Das große Problem dabei ist der Kostenfaktor. Wer soll denn für den Entwicklungsaufwand aufkommen? Immerhin ist selbst im Verhältnis zu allen Musikern der Markt relativ klein, das heißt, es gibt weltweit auch keine sechsstellige Anzahl an Instrumenten. Ein iPhone wird beispielsweise milliardenfach verkauft, das sind ganz andere Dimensionen, als bei Home-Keyboards, deren Stückzahlen auch nicht zunehmen, eher im Gegenteil. Yamaha hat im Genos immerhin eine Sprachausgabe integriert, die allerdings nur den Betriebsmodus ansagt. Vermutlich handelt es sich hier auch um keine TTS, sondern um fertige Phrasen. Ich versuche ja immer, soweit es mir möglich ist, das Thema im Fokus zu behalten. Aber man darf die Arbeitsweise der großen Unternehmen nicht unterschätzen, bei denen eine kleine Idee auch selten oben ankommt. Hier wird dann gefragt, wie viele tausende oder gar zehntausende Instrumente würden dann mehr verkauft werden, wenn man einen Betrag X in die Barrierefreiheit investieren würde. Ich weiß, dass Michel Voncken beispielsweise an der Entwicklung des Genos beteiligt war. Aber auch das heißt nicht, dass es wirtschaftlich wäre, blinde Musiker zu berücksichtigen. Hier muss man sich dessen gewahr sein, dass es sich um eine ganz kleine Zielgruppe handelt, die noch dazu nicht über 3.000 Euro für ein Instrument investieren würden oder könnten. Abgesehen davon, dass die meisten blinden Musiker heutzutage wohl weniger auf Entertainer-Instrumente setzen. Bei Synthesizern sieht das nämlich etwas anders aus, hier gibt es sehr wohl bedienbare Instrumente. Dies erfordert aber auch eine zugängliche Bedienungsanleitung. So etwas könnte ich erstellen, aber auch hier bleibt die Frage, wer den Aufwand dafür bezahlen würde. Ideen hatte ich dazu schon einige, die Nachfrage war jedoch vor Allem aufgrund der Kostenfrage zu gering.
Guten Morgen Herr Merk,
danke für Ihre interessante und zugleich ernüchternde Antwort!
PSR-S975 wird von Yamaha als Workstation bezeichnet. Sie haben angedeutet, dass in diesem Fall mehr Chancen für eine Steuerung bestehen würden. Der Begriff SysEx sagt mir aus dem Stand leider nichts, über mehr Infos würde ich mich freuen.
Danke und viele Grüße
Chris
Ja, heute wird alles als Workstation bezeichnet, das irgendwie die Klangbearbeitung und Editierung zulässt. Früher waren das alles Home-Keyboards, dann Entertainer-Keyboards, heute Entertainer-Workstations, was technisch gesehen auch stimmt. So wächst natürlich das Potential mit der Computertechnik und Yamaha wäre ziemlich ungeschickt, wenn man nicht einen Entwicklungsstrang für die Keyboards, wie Tyros und Genos, und „echten“ Workstations, wie Montage und MODX, nutzen würde. Ist ja mit den Digitalpianos das Gleiche, warum fünf Flügel sampeln, wenn es einer auch tut? Bei Korg ist das nicht anders, wenn auch übersichtlicher. Die DNC-Sounds wandern nicht in den Krome, letzterer hat dafür unzählige Synth-Sounds und der Kronos hat dann gleich fünf Engines. Im Umkehrschluss lässt man im Pa4X die Sounds komplett ausklingen, was bei Multi-Samples auch für die vielen Gigabytes sorgt, weil man das bei den Pianos mit jeder Taste macht, im Pa1000 loopt man die Sampples und spart sich dann einige Gigabytes an Speicher. Ich denke, im Mix hört man das kaum, einzeln betrachtet schon. Mit anderen Worten haben es die Hersteller alle heutzutage schwer, ihre Instrumente eindeutig zu klassifizieren. Wer Filmkomponist ist, wird den Kronos nehmen, wer elektronische Musik mit Naturinstrumenten bevorzugt, eben ein Modell der Pa-Serie. Bei Yamaha ist das nicht anders, auch wenn man hier eher klotzt statt kleckert. Speicherplatz ist ja schließlich nicht zugleich ein Garant für die Klangqualität.
Es kann natürlich sein, dass Apps zugänglikch sein könnten, aber der Entertainer-Bereich interessiert mich persönlich nur am Rande, weshalb ich das nicht verfolge. SysEx ist ein MIDI-Standard, über den man ganze Programmierungen an das Instrument schicken kann, was einen Editor voraussetzt. Dies birgt auch wieder zwei Probleme mit sich, zum Einen muss das Instrument den Zugriff auf Werkseinstellungen von extern zulassen. Zum Anderen muss ein Bedarf sein, dass sich jemand hinsetzt und einen Editor programmiert. Den gab es beispielsweise für die Motif-Reihe, der Montage ist ein komplett anderes Gerät, somit lässt sich das nicht mehr weiter nutzen. Dazu kommt die Eigenart der Instrumente. Touchscreen, Super-Knob, die man zudem als Anwender vollständig am Gerät bedient. Auch hier darf man sich nichts vormachen, wer ein eigenständiges Instrument wählt, macht dies aus gutem Grund, weil er eben keinen Computer nutzt.
Es gibt ja Lösungswege, Logic am Mac, die internen Instrumente sind hervorragend, dann braucht man halt nur einen Apple-Rechner. Wirkliches Problem ist aber der Arranger, was wiederum die Frage aufwirft, was man machen will. Wer einfach spielen möchte, der ist bei Logic Pro X natürlich auch vollkommen falsch aufgehoben, die Keyboardhersteller haben selbst den Finger auf guten Arrangern drauf und auch kein Interesse, dass man so ein Instrument plötzlich im iPad nachbaut. Technisch wäre das überhaupt kein Problem, die Hardware in einem Keyboard ist für heutige Verhältnisse schon ziemlich begrenzt.