Letzte Aktualisierung am 26. Dezember 2021
Smartphone-Tests sind furchtbar. Nicht nur, weil man das Gefühl hat, es ginge hauptsächlich um Fotoapparate, sondern wird vor lauter Fotos oft vergessen, dass die kleinen, feinen Unterschiede genauso maßgeblich für die Kaufentscheidung sein können. Selbst Bestenlisten kann man weitgehend vergessen, weil Äpfel mit Birnen verglichen werden, nicht nur in der Preisklasse, sondern auch bezogen auf die Nachhaltigkeit. Das ist widersprüchlich, angefangen von der Grundfrage, ob sich iPhone und Geräte mit Android überhaupt vergleichen lassen, über ältere Smartphones, die kein aktuelles Android mehr erhalten und besser bewertet werden als Smartphones mit Android One. Diese erhalten nämlich nicht nur auf Jahre garantierte System-Updates, sondern auch die regelmäßigen Sicherheits-Patches, was nicht jedes Flaggschiff von sich behaupten kann. Bewusst machen sollte man sich außerdem, dass PR-Journalisten häufig das schreiben, was künftige Käufer von ihrem Wunschgerät erwarten, ohne die Interessierten der Top-Smartphones zu verschrecken. Daher ist die Kamera des Mittelklasse-Modells natürlich sehr gut, aber nicht so gut, wie das Flaggschiff aus dem Vorjahr. Vergleichsfotos im Automatik-Modus sollen dies belegen, was objektiv jedoch nur bei gleichen manuellen Einstellungen und mit farbkalibrierten Spezialdisplays gelingen kann. Dabei liefern alle Kameras heutzutage brauchbare Fotos ab, weshalb die Nachhaltigkeit der Software deutlich höher zu bewerten ist. Würden sich die Tester unisono darauf verständigen, dass Sicherheit und Aktualität der Software gewichtigere Argumente sind, würden die Hersteller vielleicht umdenken. Umgedacht haben die Medien zumindest dahin gehend, dass Vorjahresmodelle als günstiger Ersatz gehandelt werden und man die Qualität von Gestern nicht mehr wegdiskutieren kann. Da wundert es schon, wenn das als absolut farbecht bescheinigte Display eines iPhone 7 Plus ein Jahr später plötzlich unnatürlich wirken soll.
Lenovo als aktueller Mutterkonzern von Motorola handelt ziemlich ambivalent. So sind die günstigen Smartphones der G-Serie heute nicht mehr mit dem Vorteil gesegnet, dass sie ebenso schnelle Updates bekommen, wie die Nexus-Reihe. Unter dem Dach von Google hat das noch funktioniert, seit dem Moto G5 unter Lenovo ist das nicht mehr so. Als ich meinen Podcast mit dem Moto G6 Plus im Januar aufgezeichnet habe, lief dieses sogar noch mit Android 8.1, obwohl 8.1.1 bereits seit Monaten die aktuellere Version war. Die Moto G7-Reihe wurde kurz darauf mit Android 9 Pie ausgeliefert und im April durfte auch ich die neue Betriebssystem-Version auf meinem G6 Plus installieren. Man stelle sich das mal bei einem zwei Jahre alten Notebook vor oder noch älter, das heute nur mit Windows 8.1 oder 7 laufen könnte. Ganz davon ab, dass selbst in Android 9 Pie Sicherheitslücken bekannt wurden, die von Apps ausgenutzt werden können und erst mit Android 10 Q gefixt werden sollen.
Aktuell hat Motorola wie auch im Vorjahr mehrere Einstiegsmodelle der G-Serie im Programm, das Moto G7 Play als günstigstes gibt es auch als Moto G7 Power mit starkem 5.000 mAh-Akku, das Moto G7 folgt darauf und für rund 50 Euro mehr bekommt man mit dem Moto G7 Plus die auch leistungsstärkere Version. Manche loben es, manche verteufeln es und vergleichen es mit billigen Plastikbombern mit schnellerer CPU. „Was hast du für ein Auto?“ – „Weiß ich nicht, aber 300 PS“, so in Etwa wirken manche Vergleichstests auf mich. Dabei spielt die schnelle Hardware vielleicht für Gamer eine Rolle, nicht aber für den Alltagsnutzen. Heute ruckelt kaum ein Smartphone noch im Browser, selbst hochauflösende Videos lassen sich abspielen. Interessant ist der dauerhafte Nominaltakt und ob der Hersteller zu viele Prozesse im Hintergrund laufen lässt. Das nehmen die Tester ebenso hin, wie vorinstallierte Bloatware, aber nicht jeder möchte ein Smartphone mit unentfernbarem Facebook.
Lenovo geht hier immerhin mit gutem Beispiel voran, deaktivierbar sind lediglich Outlook und Xing auf dem Moto G6 Plus installiert, auf dem Moto G7 Plus und One Vision gar nichts, bis auf die hauseigenen Moto-Apps für die Gestensteuerung. Natürlich sind die Google-Dienste fest im System verankert, das wird vermutlich von vielen Nutzern auch erwartet. Alle drei Smartphones bieten 4 GB Arbeitsspeicher, das reicht locker für den Alltag aus und übertrifft sogar das iPhone 7 Plus mit 3 GB RAM. Trotzdem unterscheiden sich die drei preislich recht ähnlichen Modelle, die jeweils bei Markteinführung mit 299 Euro verkauft wurden. Das Moto G7 Plus und One Vision wurden im ersten Quartal 2019 eingeführt, das G6 Plus ein Jahr zuvor. Aktuell ist das One Vision mit 299 Euro das teuerste der drei Modelle, das Moto G7 Plus ist rund 30 bis 50 Euro günstiger.
Vergleicht man das Moto G7 Plus und One Vision, fallen deutliche Unterschiede auf, die in Tests kaum berücksichtigt werden und die Wahl unnötig erschweren. Multimedial glänzt das G7 Plus, dessen breiterer Formfaktor auch im Querformat für größere Videos sorgt. Im Standby-Modus lassen sich die Lautstärketasten auch zum Titelsprung nutzen, die Stereo-Lautsprecher klingen nicht besser, aber besonders bei Videos im Querformat räumlicher. Das One Vision kommt im 21:9-Format, für das es kaum nennenswerte Filme gibt und durch den schmaleren Formfaktor werden Videos kleiner dargestellt. Der Lautsprecher auf der Unterseite strahlt in eine Richtung, immerhin klingt er ganz ordentlich. Die Lautstärketasten lassen sich mit Moto-Actions nicht belegen, auch fehlt Bluetooth mit aptX trotz Version 5.0. Kein Wunder, denn im Inneren werkelt im Gegensatz zum Snapdragon 636 des Moto G7 Plus ein Samsung Exynos 9609 mit ebenfalls acht Kernen und höherer Taktung, auch das Kameramodul stammt von Samsung. Daher wurde aptX nicht lizenziert, den Unterschied mit dem Teufel Bamster Pro hört man durchaus. Immerhin liegt dem One Vision ein In-Ear-Headset bei, der Akku ist mit 3.500 mAh geringfügig stärker. Äußerlich sind sich alle Modelle ziemlich ähnlich, das Display des One Vision ist wie die Kamera tendenziell etwas besser. Den Spritzwasserschutz teilen sich alle, jedoch ist nur das One Vision mit IP52 zertifiziert, was vermutlich am fehlenden Mikrofon auf der Vorderseite liegt. Ein Vorteil ist das aber nicht, weil alle Hersteller aus gutem Grund Feuchtigkeitsschäden im Garantiefall grundsätzlich ausschließen. Als wäre das nicht genug, kommt mit dem One Action nun ein weiteres Modell in den Handel, das technisch dem One Vision bis auf die Kameras in allen Punkten gleicht. So hat es je eine Haupt- und Frontkamera mit lediglich 12 Megapixeln, der 5-Megapixel-Sensor für die Tiefenerkennung ist ebenfalls mit an Bord. Dafür verfügt es über eine zusätzliche Actioncam, die im Hochformat Breitbild-Videos in Full-HD mit 60 fps und einem Sichtfeld von 117 Grad aufzeichnen. Wie auch das One Vision erhält es Updates für die nächsten drei Jahre und ist preislich mit rund 260 Euro etwas günstiger angesetzt.
TalkBack läuft auf allen Modellen gleich gut und flüssig, auch die Einstellungen sehen nahezu ähnlich aus. Daher lässt sich verwundert hinterfragen, warum man nicht gleich ein besseres G7 Plus mit Android One auf den Markt bringt und das eigene Modell durch ein weiteres kurz nach Markteinführung abwertet. Wahrscheinlich muss man Smartphones einfach als Gebrauchsgegenstand sehen, sich selbst fragen, was einem wichtig ist und dann entsprechend entscheiden. Immerhin spricht für das One Vision die regelmäßige Update-Versorgung, der etwas stärkere Akku und der schmalere Formfaktor bei kaum mehr Gehäuselänge, für das G7 Plus spricht die Multimedialität bei zugleich schwächerer Performance und der Gewissheit, kein Android 11 R zu erhalten. Einzig das Moto One Action bringt mit der Actioncam ein Alleinstellungsmerkmal mit, das sich von den anderen Modellen unterscheidet. Wer ein günstiges Smartphone sucht, bekommt mit dem Moto G6 Plus sogar mehr Leistung, als mit dem Moto G7 Play.
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