Zeiss VR One Plus, VR-Gehäuse für Smartphones

Letzte Aktualisierung am 3. Januar 2020

Das VR-Gehäuse von Zeiss passt an viele Smartphones und macht es möglich, zumindest relativ günstig in den Genuss virtueller Welten zu kommen. So werden die Kompromisse im Gegensatz zu den meisten VR-Gehäusen am Markt doch sehr gering gehalten und die Verarbeitungsqualität lässt auf eine lange Haltbarkeit hoffen. Nachdem ich schon einige VR-Gehäuse ausprobiert und wieder abgegeben hatte, konnte ich beim relativ günstigen Straßenpreis von 60 Euro nicht widerstehen, das einst mit rund 120 Euro teuerste VR-Gehäuse am Markt zu testen. Wie üblich hole ich allerdings zuvor etwas aus und erkläre, worum es bei VR eigentlich geht.

Virtual Reality als Inbegriff der Zukunft

Warum man Mitte der 90er Jahre Virtual Reality als die aktuelle Zukunft propagierte, weiß ich nicht. Die Zeiten damals waren sicherlich nicht so schlecht und düster, als das man sich zwingend in ferne Welten flüchten gemusst hätte. Auch waren die damaligen Computer überhaupt nicht so leistungsstark, als dass ihnen die Echtzeitberechnung virtueller Welten in realitätsnaher Qualität hätte gelingen können. In dieser Zeit war die Unterhaltungsindustrie noch mit Digitalformaten beschäftigt und der Möglichkeit, einen räumlichen Klangeindruck zu vermitteln. Hochauflösende Displays mit HDR, 3D und selbst digitale Camcorder waren noch weit entfernt.

Wir schreiben das Jahr 1995 und ich besuchte den Ethik-Kurs der Oberstufe. Zukunft war das Thema und somit auch der Modebegriff Virtual Reality. Unser Ethik-Lehrer versorgte uns mit aktuellen Texten von Philosophen, welche die düstere Zukunft virtueller Welten prognostizierten. Realitätsflucht und sogar die Möglichkeit, dass Menschen nicht mal mehr zwischen realer und virtueller Welt unterscheiden könnten, war das Thema. Als Schüler mit hohem technischen Sachverstand forcierte ich die Diskussion, dass diese Prognosen angesichts der begrenzten technischen Möglichkeiten damals nicht realisierbar wären. Es entbrannte ein regelrechter Streit darüber und es gelang mir nicht, die virtuelle Vision des Lehrers mit realen Argumenten zu entkräften. Im Laufe der Folgejahre gab es immer wieder Videobrillen und Surround-Kopfhörer, die nicht nur unförmig und gemessen an heutigen Möglichkeiten qualitativ schlecht waren, sondern auch sehr teuer und sich nicht durchsetzen konnten. Hingegen setzte sich die Kinoatmosphäre mit Video-Beamer, Leinwand und Surround-System durch, an VR dachte niemand mehr. Für die Sozialflucht reichten Smartphones und Social Networking auch ohne virtuelle Welten aus. Facebook hat allerdings ein VR-Headset für Ende 2018 angekündigt.

Als Google dann auf der I/O im Jahr 2014 zur Vorstellung des Nexus 5 seltsame Briefumschläge mit dem Namen Cartboard verteilte, sollte sich das ändern. Smartphones und auch Computer haben inzwischen die Leistung, zumindest weitgehend einen Rundumblick zu ermöglichen. In den Briefumschlägen befanden sich einige Pappschablonen und zwei Linsen, die zusammengebaut ein Smartphone aufnehmen konnten und das Konstrukt mit einem Gummiband am Hinterkopf befestigt wurde. Mit Cartboard stellte Google auch die namensgleiche App vor, die ein Standard für VR-Gehäuse werden sollte. Das originale Cartboard wurde nur Entwicklern zur Verfügung gestellt, für die Allgemeinheit stellte Google die Bauanleitung im Netz bereit. Der Markt reagierte entsprechend und flutete die Online-Shops mit mehr oder weniger guten Kartons, zumeist auch aus haltbaren Materialien. Nicht alle bieten jedoch einen QR-Code an, um der Cartboard-App die Vorverzerrung der Bilder zu erleichtern. Die nächste Stufe ist Google Daydream, ein Zertifikat für Gehäuse und Smartphones, wobei das iPhone hier außen vor bleiben muss.

Die VR-Gehäuse sind im Wesentlichen gleich. Aus Pappe oder anderen Verbundstoffen werden die Teile geschnitten und zusammengesteckt, zwei Linsen vergrößern das Bild des Smartphones, wobei der Bildschirm in der Mitte geteilt wird. Man legt es quer in die Brille ein und ist die Bildschirmauflösung zu gering, werden nicht selten einzelne Bildpunkte sichtbar. Ein Steg trennt beide Augen und so erhält man faktisch zwei Bilder, die durch die Optik dem Gehirn als zusammenhängend präsentiert werden. Das Tracking, also die Nachverfolgung der Kopfbewegung, geschieht über den Lagesensor, je nach Leistung und Güte können Verzögerungen den virtuellen Eindruck ebenfalls trügen. Die Prozessoren nutzen zur Darstellung ihre volle Rechenleistung, das erzeugt Wärme und geht auf den Akku. Bei der Kopfbewegung sind die Smartphones oft nicht präzise genug, so dass eine kurze Latenz schon ausreicht, den virtuellen Eindruck zu verzerren. Das Neigen auf die Seite führt oftmals zu keiner Bildveränderung. Letztendlich gilt für alle Videos mit Rundumblick die Tatsache, dass man sich an ein und derselben Stelle befindet. Die Achterbahnfahrt wird optisch erfasst und weil die Augen auch den Gleichgewichtssinn steuern, ist der erste Eindruck umwerfend. Im zweiten aber wird man erkennen, dass man sich nicht real bewegt, was für das Kribbeln im Bauch eine unerlässliche Beigabe ist, ebenso wie der nicht vorhandene Fahrtwind. So reduziert sich das Erlebnis auf die optische Wahrnehmung, was mitunter auch zu Schwindel und Übelkeit führen kann. Als Weiteres fehlt häufig ein stereophoner Sound, der sich ebenfalls mit dem Bild linear verändern muss und die Raumgröße und Entfernung entsprechend abbilden sollte. Ob dies in der Praxis überhaupt genutzt wird, ist mir nicht bekannt. Die von mir getesteten VR-Apps konnten hier leider nicht überzeugen und realisierten akustische Entfernungen lediglich durch Richtung und Lautstärke, was für einen räumlichen Eindruck zu wenig ist. Ein positives Beispiel ist ein virtueller Besuch in den Abbey Road Studios, der auch akustisch gut gelingt.

Wie funktioniert eigentlich die Stereoskopie?

Das Prinzip lässt sich am besten mit der Stereophonie vergleichen. Stellen wir uns eine räumliche Aufnahme vor und betrachten deren Komponenten: Man hört im Hintergrund, quasi als „Grundrauschen“, einen Teppich aus verschiedenen Geräuschanteilen. Diesen hören wir auf beiden Ohren, ist aber auch in Teilen örtlich zuzuordnen. Geht nun jemand von links nach rechts vorbei, hören wir ihn zunächst auf dem linken und anschließend auf dem rechten Ohr, während das Geräusch an einer bestimmten Stelle gleichzeitig beide Ohren erreicht. Durch Lautheitsunterschiede können wir durch Vergleichen Distanzen erkennen, Phasenabweichungen und Raumakustik geben uns weitere Anhaltspunkte. Der Vorteil binauraler Aufzeichnungen liegt darin, dass die realen Bedingungen durch einen modellierten Kopf und nachgebildete Ohren so exakt wie möglich eingefangen werden. Während wir nur in eine Richtung schauen, hören wir alles rundherum. Unser Gehör reagiert zudem sensibler, da wir Gefahren eher akustisch als optisch wahrnehmen, auch wenn das Sehen für unser Gehirn mehr Aufwand bedeutet. Eine leichte Kopfbewegung reicht jedoch aus, dass das Gehirn die Aufzeichnung nicht als reales Erlebnis erkennt. Viele empfinden sogar Surround-Aufnahmen über Lautsprecher als realistischer, weil sich die Kopfdrehung tatsächlich auf den Klang auswirkt. Die Film- und Multimedia-Industrie arbeitet auch mit der Reizüberflutung als Instrument. Die Natürlichkeit binauraler Aufzeichnungen kann allerdings nur über einen Kopfhörer erreicht werden, digitale Signalprozessoren sind nicht erforderlich. Derzeit ist mir nicht bekannt, ob 360-Grad-Aufnahmen mit Headtracking mehr Natürlichkeit versprechen.

Bei der Stereoskopie werden auch zunächst beide Augen mit demselben Bild versorgt, ein kleiner Versatz simuliert allerdings den Augenabstand. Auch hier erreicht der durchs Bild laufende zunächst das linke und anschließend das rechte Auge, in mittlerer Position wird er für das linke Auge weiter rechts, für das rechte weiter links dargestellt. Da wir allerdings keinen Rundumblick haben, neigen wir zum reflexartigen Kopfdrehen und daher ist das Headtracking eine wichtige Funktion. Dafür sorgt auch das enge Gesichtsfeld heutiger VR-Betrachter. Das Bild ist aber nicht dreidimensional, Entfernungen und Räumlichkeit definiert unser Gehirn durch die Größenunterschiede, Schattierungen und Hintergrundbewegungen. Bei vielen Videos hat man den Eindruck, dass man ein zweidimensionales Bild vor den Augen verschiebt, eine Tiefenstaffelung ist daher nicht gegeben. Würde man nun zwei Bilder mit einer leichten Phasenverschiebung anbieten, könnte man ein dreidimensionales Bild realisieren. Das scheint offenbar allerdings derzeit selten der Fall zu sein. Wie auch bei der Kunstkopfaufnahme besteht das Problem, dass man sich nicht real im Raum bewegen kann. In Spielen helfen entsprechende Controller zur Navigation weiter.

AR statt VR

Apple geht einen anderen Weg und vernachlässigt VR, bietet aber mit dem AR-Kit eine Mischung aus realer und virtueller Umgebung an. Die Kamera fängt den tatsächlichen Raum ein und auf einem leeren Tisch wird beispielsweise eine Modelleisenbahn projiziert, die man durch das Smartphone-Display betrachtet. Geht man um den Tisch herum, verändert sich die Perspektive in Echtzeit und man kann sie über den Touchscreen berühren. Dass Apple hier VR außen vor lässt, ist genau der Punkt der Einfachheit. Denn steckt ein Smartphone in einem VR-Gehäuse, ist der Bildschirm nicht mehr erreichbar. So setzte Google zu Anfang auf Magnetschalter, die allerdings auch nicht unkritisch sind und durch ein temporäres Magnetfeld dem Lagesensor suggerieren, dass hier eine Aktion ausgelöst werden soll. Leider hat man versäumt, für diesen Fall auch eine physische Taste zu definieren, so dass man bei Gehäusen ohne Magnetschalter diesen eventuell nachrüsten muss. Andere Apps setzen auf Gesten, so genügt ein Anstarren, um eine Reaktion auszulösen. Würde man AR, VR und 3D jedoch miteinander kombinieren, hätte man sicherlich in Verbindung mit dreidimensionalem Audio eine perfekte Möglichkeit, in eine virtuelle Welt abzutauchen. So bin ich selbst gespannt, ob sich dieser Trend irgendwann zum Standard werden wird. Dazu muss sich aber noch viel an Ergonomie und Handhabung verändern, eigenständige VR-Headsets könnten eine Lösung sein.

Zeiss VR One Plus

Das im Video vorgestellte Gehäuse fasst auch große Smartphones und wurde in manchen Punkten zum Vorgänger überarbeitet. Die universelle Halterung wird nach Fixieren des Smartphones einfach eingeschoben, die kurzen Seiten bleiben für den Anschluss von Kopfhörern oder Netzteil dabei zugänglich. Das Kopfband und Gesichtspolster sind abnehmbar und das Gehäuse überzeugt mit einer guten Verarbeitung und hochwertiger Optik. Die Apps müssen allerdings das Bild zwingend vorverzerren, eine reine Side-by-Side-Darstellung sorgt für unschöne Moiré-Effekté. Zeiss bietet als optionales Zubehör einen soliden Transportkoffer und ein abwaschbares Gesichtspolster an, letzteres ist aufgrund der Hygiene sehr empfehlenswert. Die Belüftung ist gut gelungen, so dass kein Wärmestau für unangenehme Hitzeentwicklungen sorgt. Auch ist im vorderen Teil genügend Platz, so dass auch Brillenträger in den Genuss von VR kommen können, das Gehäuse kann zum Reinigen der Linsen zerlegt werden. Den QR-Code hat Zeiss ungeschickterweise nur auf der Verpackung angebracht, nicht aber auf der Brille oder im Handbuch. Ein Reinigungstuch hätte man selbst beim inzwischen günstigen Straßenpreis von rund 60 Euro beilegen können, auch Sticker mit dem passenden QR-Code würden es erleichtern, diesen optional auf der Brille anzubringen. Im Paket befindet sich auch ein Pappwürfel, der mit einer AR-Anwendung genutzt werden kann, die allerdings unter iOS nicht auf 64 Bit aktualisiert wurde und von daher nicht zur Verfügung steht. Ein fehlender Magnetschalter macht die Bedienung mit Cartboard sehr schwer, weil der Touchscreen im Inneren nicht erreichbar ist. Die VR One Plus von Zeiss ist dennoch nach meinen Erfahrungen das beste VR-Gehäuse, das man für Cartboard derzeit kaufen kann, für Google Daydream gibt es allerdings neue Gehäuse. Es ist denkbar, dass Zeiss die VR One Plus zu Gunsten neuerer Entwicklungen daher abverkauft.

Das Problem mit dem fehlenden Magnetschalter konnte ich inzwischen für mich allerdings lösen, so erweist sich die VoiceOver-Tastatur RiVO 2 hier als nützlicher Helfer. Eher zufällig simuliert die Tastenkombination L1 mit 5 einen Klick auf den Touchscreen, auf den Google Cartboard reagiert und entsprechend den Zugriff erlaubt, das klappt auch bei anderen Apps, die sich nicht mit der Blickrichtung steuern lassen. Dieser Vorteil erspart den Umbau der VR One Plus, zumal Zeiss selbst keinen Magnetschalter zum Einkleben mehr anbietet. Eventuell lässt sich diese Tastenkombination auch mit einer herkömmlichen Bluetooth-Tastatur simulieren, Versuche meinerseits schlugen ebenso fehl, wie der Einsatz des 8Bitdo FC30 Pro Controllers. Wer sich nur für Videos interessiert, findet auch VR-Player mit Steuerung durch die Apple Watch, auch das kann die Handhabung sehr vereinfachen.

Fazit

Gerade iPhone-Nutzer brauchen sich über Google Daydream aktuell keine Gedanken zu machen, weil kein iPhone bislang die Zertifizierung erhalten hat. So reicht die VR One Plus als Cartboard-Gehäuse gut aus, sich mit vR ein Wenig zu befassen. Alleine Filme auf einer virtuellen Kinoleinwand zu betrachten, ist schon eine tolle Sache und erspart das ständige Gucken auf ein kleines Display, auch wenn diese nicht mehr in voller Auflösung zu sehen sind. Bei YouTube gibt es eine große Auswahl an 360-Grad-Filmen, die mit einem VR-Gehäuse mehr Spaß machen, als ständig mit dem Finger über das Display zum Ändern des Blickwinkels zu wischen. Aber VR erfordert auch ein Smartphone mit genügend Leistung und zieht auch am Akku, so dass den Geräten schon einiges abverlangt wird. Für die beste Rundumsicht empfiehlt sich übrigens ein Drehstuhl und auch gute Kopfhörer, zumindest wenn der Sound der VR-Apps stimmt.

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