Bericht von der EDV-Ausstellung 1997 in Marburg

Letzte Aktualisierung am 17. Januar 2018

Am 3. und 4. Juli 1997 lud die Rehabilitationseinrichtung für Sehgeschädigte, kurz
„RES“, der Deutschen Blindenstudienanstalt Marburg, zu einer
Hilfsmittelausstellung ein. Wie auch im letzten Jahr fand diese wieder in der großen Sporthalle der Carl-Strehl-Schule statt, in der zahlreiche Firmen ihre Produkte und Neuentwicklungen vorstellten. Aufgrund der knappen Zeit von etwa fünf Stunden, war es mir nicht möglich, alle Firmen zu besuchen, jedoch konnte ich mir einen wesentlichen Überblick verschaffen und will auf den folgenden Seiten über Neuheiten und innovative Entwicklungen berichten.

Aufgrund der neuen Gesundheitsreform wurden auch die Bestimmungen für Computerlesesysteme verschärft. Somit wird künftig zwischen den Begriffen „Lesesystem“ und „Vorlesesystem“ unterschieden. Das Lesesystem wird auch als „offenes System“ bezeichnet, welches einen vollwertigen PC beinhaltet und auch als Solcher in den letzten Jahren finanziert wurde. Das Vorlesesystem ist „geschlossen“. Das heißt, es handelt sich zwar in der Technik um einen PC mit Scanner und Sprachausgabe, jedoch ist die äußere Form teils „PC-ähnlich“, teils futuristisch gestaltet. Man will so den Benutzer daran hindern, das System als PC zu nutzen und es nur dem eigentlichen Zweck, dem Vorlesen von Texten, dienlich zu machen. Während Novotech das jahrelang bewährte Lesefon Mini als geschlossenes System mit Handscanner und Infovox-Sprachausgabe im Koffer präsentierte, nahm der Hersteller Hedo den Begriff „geschlossen“ sehr wörtlich: Das etwa 65 cm lange Gehäuse, das den HP Scanjet 4p beinhaltet, soll zwar künftig kleiner werden, ist aber derzeit ziemlich platzraubend. Dafür verfügt es über die Talking Blaster-Sprachausgabe und ein speziell angefertigtes Bedienpult mit sehr großen, übersichtlichen Tasten. Gescannte Dokumente können gespeichert werden. Innovativ ist die Benennung der Dokumente, die per Sprache erfolgt. Das Gerät zeichnet diese wie ein Diktiergerät auf und spielt sie dem Benutzer vor. Auch Tieman präsentierte ein geschlossenes System, das aus den Komponenten Scanner, Rechner und Ziffernblock besteht. Der Rechner verfügt natürlich über kein Diskettenlaufwerk mehr, dafür aber über eine Infrarotfernbedienung. Auch das System von Etex besteht aus mehreren Komponenten. Interessant ist hier die gutklingende Softwaresprachausgabe. Der Text wird direkt in einen Editor gelesen und kann hier gleich bearbeitet werden. Eine spezielle Funktion ermöglicht das zeitgesteuerte Auflesen auf Kassette. Die Länge des Bandes wird vorgewählt und das System unterbricht nach Ende der ersten Seite. Der Hersteller Papenmeier kündigte das bisher kompakteste Vorlesesystem an, das jedoch leider noch nicht zu sehen war. Bei Baum wurde das jahrelang vertriebene Reading Edge von Kurzweil präsentiert. Neben der Vollversion ist die abgespeckte Express-Version mit weniger Tasten und eingeschränkten Funktionen verfügbar. Andere Firmen wissen noch nicht genau, wie nun das Vorlesesystem geliefert werden soll. Eine große Schwierigkeit ist die Frage nach dem Diskettenlaufwerk, das ja eigentlich nicht zu einem Vorlesesystem gehört. Novotech waren die einzigen, die in ihrem „Krankenkassenmodell“ Lesefon Mini ein Laufwerk integrierten. Auf die Frage, ob dies künftig so bleiben wird, sagte ein Vertreter: „Das Lesefon Mini wurde jahrelang so ausgeliefert und die Krankenkassen haben keine Probleme gemacht. Warum sollten wir das System ändern?“ Michael Rapp von Ludwig Becker sagte: „Wir wissen es noch nicht genau, wie das Open Book künftig aussehen wird“. Ein Vertreter bei Hedo meinte: „Wir liefern ein geschlossenes System, das von den Krankenkassen übernommen wird. Wenn jemand ein offenes System haben will, wird es ein PC mit Scanner sein.“ Bei fast allen Firmen besteht die Möglichkeit, gegen Aufpreis einen vollwertigen PC zu erhalten. Die Krankenkasse finanziert also bis zum Preis des geschlossenen Systems, die in der Regel zwischen 9.000 und 10.000 Mark kosten. Der Aufpreis beläuft sich dann auf rund 1.000 und 2.000 Mark.

Auch in der Entwicklung von Braillezeilen wurde man sich langsam einig, dass Software-Lösungen wohl die bessere Alternative seien. Dies führt zwar dazu, dass der blinde Computerbenutzer keine Einstellungen im Bios selbst vornehmen kann und auch im Textmodus ein Treiberprogramm nicht erspart bleibt, jedoch sind Windows-Lösungen nur auf Softwarebasis möglich. Ein Berater von Tieman meint dazu, dass die Entwicklung von Hardwarelösungen einfach zu teuer und somit unrentabel ist. Ferner gibt es bislang keine Möglichkeit, Hardwarelösungen für moderne PCI-Grafikkarten zu schaffen. Viele der Slave-Karten arbeiten nur mit 8-Bit- oder 16-Bit-Grafikkarten zusammen, die jedoch auf dem PC-Markt inzwischen sehr rar sind. Auch altbekannte Hardwarelösungen sind nun auch als Softwarelösung lieferbar, wie beispielsweise die 2D-Screen von Papenmeier. Der Kunde kann wählen, ob er eine etwa 1.500 Mark teurere Hardwarelösung, eine Softwarelösung oder die Kombination daraus wünscht. Dies gilt auch für die Multibraille von Tieman. Handy Tech setzt seit Jahren schon auf Softwarelösungen, wie auch Alva. Im Bereich der Portablen Braillezeilen kann von einem richtigen Boom gesprochen werden. Dies kann damit zusammenhängen, dass künftig Portable Arbeitsplätze für Studierende bezahlt werden müssen und die Nachfrage steigen wird. Somit konzentrieren sich die Hersteller hauptsächlich auf 40stellige Modelle. Baum Elektronik präsentierte eine sehr flache und kleine Zeile, die ich jedoch nicht genauer betrachten konnte. Überraschend war jedoch, dass Baum von ihren bislang hoch gelobten Sensortasten Abschied genommen hat. Auch Tieman führte ein neues Modell vor, dass den großen Brüdern sehr ähnlich scheint. Eine Kante verhindert, dass das Notebook auf die Cursor-Routing-Tasten oder die Zeile selbst rutschen kann. Wie auch in der Alva Delphi-Zeile, die bei Ludwig Becker vorgestellt wurde, hat man eine Dolphin Juno-Sprachausgabe in das Gehäuse integriert. Im Gegensatz zu der Tieman-Zeile zeichnet sich die Delphi durch das doppelte Cursor-Routing aus, mit deren Hilfe man die Zeile und die Sprachausgabe getrennt voneinander bedienen kann. Dies macht vor Allem unter Windows Sinn, da man sich so per Sprachausgabe direkt die Attribute und Schriftart ausgeben lassen kann, ohne dass der Cursor gleich zu einer anderen Stelle springt. Ein Problem stellt jedoch die unausgereifte Firmware dar (Steuersoftware, die in der Zeile gespeichert ist), die wesentliche Funktionen, wie beispielsweise den Stromsparmodus, noch nicht ermöglicht. Dies gilt auch für die 80er-Version. Wie auch bei der 3er-Serie kann der Benutzer die Firmware selbst erneuern. Handy Tech präsentierte neben ihrem Modularsystem einen Prototyp einer neuen 40er-Zeile, die im Gegensatz zum Vorgänger nicht mehr auf dem Modularkonzept beruht. „Die Zeile wird so kleiner und günstiger im Preis. Sie soll nur 7.000 Mark kosten“, sagte ein Vertreter der Firma. Man will hier auch Menschen erreichen, denen eine Finanzierung durch fremde Kostenträger nicht möglich ist. Allerdings bedarf die Zeile noch einiger Überarbeitung, bevor sie endgültig in Serie geht. Lang angekündigte Komponenten zum Modularsystem wurden nicht vorgestellt, jedoch ist eine Punktschrifttastatur erhältlich, die jedoch ebenfalls nicht gezeigt wurde.

Auch tragbare Spezialcomputer und Notizgeräte wurden vorgestellt. Baum präsentierte den DAVID, ein Spezial-Notebook für Blinde mit 40stelliger Braillezeile und Sprachausgabe, sowie mit einer Punktschrifttastatur. Das Gerät ist aufgrund der Leichtigkeit von 2,5 kg sehr interessant. Papenmeier präsentierte das Notex Compact, das auch über eine 40stellige Braillezeile verfügt, jedoch über eine Notebooktastatur mit 84 Tasten. Bei beiden handelt es sich um vollwertige Personalcomputer plus Reha-Erweiterungen, die lediglich in ein Spezialgehäuse integriert wurden. Das Notex ist jedoch deutlich schwerer, als der DAVID. Wem jedoch auch 5 Pfund zu schwer sind, wird am Braille 40 Gefallen finden, das bei Ludwig Becker gezeigt wurde. Dieses portable Notizgerät, das zusätzlich auch über eine Sprachausgabe verfügt, bietet mit seinem Arbeitsspeicher von 4 Megabyte RAM viel Platz für Text. Das Cursor-Routing verhilft hier auch zum schnellen Arbeiten. Für den Herbst wurde eine 18stellige Version angekündigt, die den futuristischen Namen Braille 2000 tragen soll. Das Vorgängermodell Braille Lite, leider ohne Cursor-Routing, konnte auch betrachtet werden. Es ist zwar schon etwas älter, aber immer noch gefragt.

Im Bereich Sprachausgaben und Punktschriftdrucker wurde wenig neues gezeigt, bis auf weiterentwickelte Software-Lösungen. Zu meiner Überraschung hat Tieman den Vertrieb der Keynote Gold-Sprachausgabe eingestellt, da diese kein CE-Prüfsiegel erhalten hat. Die Apollo 2 und Infovox-Sprachausgaben wurden natürlich ebenfalls präsentiert. Im Bereich Punktschriftdrucker gab es ebenso wenig neues, bis auf die überarbeitete Version des Enabling E.T., einem Doppelseitendrucker, den es bei Beckers zu sehen gab. Er verfügt nun über ein etwas abgerundetes Design und eine Klappe, die den Lärm vermindert. Dem Kunden soll so eine teure Lärmschutzhaube erspart werden. Dafür ist der Drucker aber auch um 1.000 Mark im Preis gestiegen.

Eine Besonderheit stellte Handy Tech vor: Ein Lesegerät, nicht größer als eine Schreibtischlampe. Das Gerät wird mittels Schraubklemme am Schreibtisch befestigt und nimmt dadurch sehr wenig Platz ein. Durch die eingebaute Lampe kann es sogar als Leuchte dienen. Die Farbkamera kann separat gedreht werden, so dass sie die Schwenkbewegung des Arms ausgleicht. Wird das magnetisch befestigte Objektiv entfernt und die Kamera im 90-Grad-Winkel gedreht, kann auch eine Tafel oder ähnliches abgelichtet werden. Das Lesegerät verfügt über keinen eigenen Monitor, dafür aber über einen Scart-Anschluss, welcher die Verbindung zu einem gewöhnlichen Fernseher ermöglicht. Mit Hilfe einer Videokarte kann es auch an einen PC angeschlossen werden. Eine optionale Tasche macht das Gerät auch bedingt tragbar.

Gleich nebenan am Stand der Brailletec wurde die neue Elotype 04 vorgestellt. Der gründlich überarbeitete Druckkopf, der jetzt mit einem Magnetsystem angetrieben wird, kann aufgrund der neuartigen Technik nicht mehr hängen bleiben. Zusätzlich verfügt die elektronische Punktschriftmaschine über einen Tastatur- und Parallelanschluss. Optional kann eine sehr schnelle Schnittstelle nachgerüstet werden, welche die Vernetzung mehrerer Elotypes ermöglicht, was beispielsweise das Erlernen der Punktschrift erleichtern kann. Im Vergleich zu den Vorgängern ist das Gerät mit 5 kg viel leichter geworden und verfügt nur noch über ein Steckernetzteil anstatt des bisherigen überdimensionierten Netzgeräts. Bei der mechanischen Version Eurotype gibt es nur noch ein Modell statt der bisherigen drei. Technisch hat sich das Gerät nicht verändert. Ferner wurde eine neue Zeichenplatte vorgestellt, deren Merkmal eine neuartige Haltevorrichtung der Folie ist. Auch Klassiker, wie die „Britzsche Schreibtafel“ im Postkartenformat oder Schreibtafeln im DIN A4-Format, wurden gezeigt.

Da die Ausstellung gut besucht war, konnte das RES auch in diesem Jahr zufrieden sein. Mir fiel allerdings negativ das starke Konkurrenzdenken einiger Firmen auf, die vielleicht gerade mal zwei bis drei Jahre auf dem Markt sind und meinen: „Wir können es ja sowieso besser, als die Alten“. Ob dies tatsächlich der Fall ist?

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