Blindenvorlesegeräte

Letzte Aktualisierung am 21. Januar 2019

Wenn die Sehkraft so schwach ist, dass selbst ein Bildschirmlesegerät oder eine elektronische Lupe nicht mehr ausreicht, muss ein Blindenvorlesegerät her. Diese Geräte werden für den privaten Einsatz von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen, sofern eine vollständige Erblindung nachgewiesen ist. Eine Kombination aus Lesegerät und Vorlesegerät ist nicht angedacht, das ist in vielen Fällen sogar unpraktisch. Denn nicht jeder, der noch gut Bilder erkennen kann, kann lange Texte ermüdungsfrei lesen. Daher gibt es auch Kombinationslösungen, die aber nicht im Rahmen der Privatversorgung finanziert werden. Übrigens: Mit diesem Text fing alles an. Bereits 1994 wurde die erste Version formuliert, deren Inhalt bis heute aktualisiert wurde.

Was sind Vorlesegeräte?

Mit einem Vorlesegerät, Lesesprechgerät oder auch Lesesystem genannt, ist der blinde Benutzer in der Lage, gedruckte Texte selbständig zu lesen. Die Vorlage wird dabei mit einem Scanner oder über eine Kamera erfasst und mit Hilfe einer sogenannten OCR-Software (OCR steht für Optical Character Recognition, optische Zeichenerkennung) digitalisiert, also für Computer lesbar gemacht. Es gibt dabei die verschiedensten Ausführungen. Angefangen von einfachen Lösungen, die sowohl optisch, als auch von der Bedienung her nichts mit einem Computer gemeinsam haben, bis hin zu komplexen Systemen, die auch die Nachbearbeitung und Archivierung der Texte ermöglichen. Zur Wiedergabe werden Computersprachausgaben verwendet, die den Text nach der Erkennung vorlesen. Aber auch Braillezeilen werden insbesondere bei komplexen Systemen zur Nachbearbeitung von gescannten Dokumenten verwendet. Die Vorlage wird insbesondere bei älteren Geräten, wie bei einem Kopierer, auf den Scanner gelegt und auf Tastendruck automatisch erfaßt und wiedergegeben. In den Anfangszeiten Ende der 80er Jahre wurden auch Handscanner eingesetzt, die der Benutzer über die Vorlage bewegen musste. Dies hatte den Nachteil, dass eine ruhige Hand nötig war, um gute Ergebnisse zu erzielen, denn der Scanner musste gerade und gleichmäßig über das Lesegut bewegt werden. Der Vorteil lag jedoch in einer gewissen Portabilität, diese war mit Flachbettscannern nicht gegeben. Daher war diese Lösung besonders bei jungen Menschen recht beliebt. Erst Anfang des 21. Jahrhunderts mit dem Aufkommen kleiner und leichter Scanner, heute mit ausreichend guten Digitalkameras, ist es nun möglich geworden, auch kompakte Geräte herzustellen. Auch das Smartphone kann, wenn auch mit Einschränkung bei der Handhabung, als Vorlesegerät dienen.

Welche Arten von Lesesystemen gibt es?

Es gibt zahlreiche Hersteller, die verschiedenartige Produkte anbieten. Dabei kann man grundsätzlich zwischen geschlossenen und offenen Vorlesegeräten unterscheiden. Geschlossene Systeme sind meist proprietäre Lösungen, die vom Benutzer nicht oder nicht selbst zu einem Computerarbeitsplatz erweitert werden können; sie dienen also ausschließlich nur zum Ein- und Vorlesen gedruckter Texte. Während es früher richtige Eigenentwicklungen gab, ist heute der Kern eines geschlossenen Vorlesesystems ein herkömmlicher Computer. Dies liegt einfach daran, dass der Einsatz von PC-Technik günstiger ist, als spezielle Eigenentwicklungen. Früher sah man proprietäre Lösungen häufiger, da sie leistungsmäßig den damaligen Computern überlegen waren. Grund dafür war eine softwareoptimierte Hardwareumgebung, die auf die Erfassung von Texten optimiert wurde. Den Anfang dieser Gattung machte der Kurzweil Reader Anfang der 80er Jahre, der als erstes Vorlesegerät in Serie ging und später als Personal Reader verkauft wurde. Der Nachfolger Reading Edge war deutlich kompakter und wurde von Xerox Imaging Systems hergestellt. Tragbar war damals ein Gewicht von etwa 8 kg der Systemeinheit und dies ohne Scanner. Als Nachfolger wurde mit dem Reading Edge von Kurzweil und Xerox Imaging Systems eine kompaktere Bauform präsentiert, deren Gehäusegröße kaum mehr Platz als ein Tischkopierer in Anspruch nahm. Heute werden kompakte Vorlesegeräte formschön verpackt und locken mit geringer Stellfläche und einfacher Handhabung. So sieht der ClearReader+ von Optelec beispielsweise wie ein kompaktes Kofferradio aus und erkennt Texte schneller, als ein geschlossenes Vorlesegerät des letzten Jahrtausends. Nichts erinnert daran, dass ein PC im Inneren werkelt, dies soll der Benutzer auch nicht merken.

Im Gegensatz dazu bezeichnet man Computer mit Scanner als offene Lesesysteme. Offen deshalb, weil sie im Funktionsumfang nicht eingeschränkt sind. Der Vorteil ist, dass mit einem Bildschirmleser auch herkömmliche PC-Anwendungen, wie Internet, Email und Chat, genutzt werden können. Besonders jüngere Menschen, Studierende und Schüler sind auf solche Systeme angewiesen, ein Computer ist ohnehin vorhanden. Bei der eingesetzten Texterkennungs-Software gibt es allerdings Unterschiede. Manche Anwendungen sprechen selbst, also auch ohne Bildschirmleser und bieten ein geschlossenes Umfeld, andere wiederum greifen auf handelsübliche Texterkennungsprogramme zurück, die mit einem Bildschirmleser bedient werden. Grenzen gibt es nahezu nicht, wie man es beim herkömmlichen Computer ja auch kennt. Nachteil hierbei ist jedoch, dass die Ergonomie mitunter etwas leidet und man schon wissen muss, wie man einen Computer bedient. Anwender müssen die zugehörigen Tastenkürzel lernen, während geschlossene Systeme mit einer Spezialtastatur ausgestattets sind, die auf die notwendigen Funktionen beschränkt ist. Eine Ausnahme gibt es allerdings mit dem Bookreader „BAT“ von Plustek, bei dem die Hauptfunktionen über den Scanner selbst bedient werden. Er verwandelt jeden PC in ein „halboffenes“ Vorlesegerät. Auch das Smartphone kann mit spezieller Software ein gutes und tragbares Vorlesegerät sein, wobei die Ergonomie nicht ganz so einfach gelöst ist. Den Touchscreen muss man schon bedienen können, auf Knopfdruck einscannen ist damit schwierig. Die meisten Apps nicht für blinde Nutzer optimiert, weshalb es auch bei der Bedienung zu Schwierigkeiten kommen kann. Daher ergänzen, jedoch ersetzen diese Lösungen nicht das heimische Vorlesegerät.

Wie werden Vorlesegeräte finanziert?

Spezielle Hilfsmittel, welche bestimmten Anforderungen genügen müssen, sind sehr teuer. Nicht zuletzt auch deshalb, weil die Stückzahlen im überschaubaren Bereich liegen und die Entwicklungskosten und Zertifizierungen recht hoch sind. Krankenkassen zahlen lieber ein speziell entwickeltes, geschlossenes Vorlesegerät, als einen Computer mit herkömmlichen Scanner. Dies liegt daran, dass gewährleistet werden soll, dass das Gerät zum Einen dem vorgesehenen Zweck entspricht, zum Anderen aber auch von jedem betroffenen Menschen bedient werden kann. So wäre es sicher schwierig, einen Computer mit Scanner eines jüngeren Menschen an einen Senior zu vermitteln, der über gar keine Computerkenntnisse verfügt. Diese Überlegung ist tatsächlich sinnvoll, da Hilfsmittel in der Regel auch wiedereingesetzt werden. Geschlossene Vorlesegeräte erinnern nicht an einen Computer, werden also von älteren Patienten eher akzeptiert.

Der Grundbedarf nach dem Medizinproduktegesetz ist so definiert, dass ein Lesesprechgerät zur Erfassung von Texten und die Umsetzung in Sprache dient, aber nicht anderweitig genutzt werden soll. Der Anschluss einer zusätzlichen Braillezeile an ein geschlossenes Vorlesegerät ist inzwischen nicht mehr umstritten. 2004 wurde jedoch noch vom LSG Rheinland-Pfalz festgestellt, dass eine Braillezeile nicht zwingend erforderlich ist, da die Sprachausgaben heutiger Systeme von hoher Güte sinnd und im Regelfall ausreichen. 1998 hingegen entschied ein Gericht, dass eine Punktschriftzeile unbedingt erforderlich ist. Die Argumente von Krankenkassen und Verbänden prallen häufig aufeinander, wobei es insbesondere dann problematisch wird, wenn ein Kläger seinen Bedarf nicht schlüssig darlegen kann. Unabhängig davon haben die Krankenkassen in der Regel Verträge mit den Lieferanten abgeschlossen, so dass die Versorgung mit einer zusätzlichen Braillezeile in den seltensten Fällen verweigert wird. Häufig ist es auch üblich, dass Punktschriftkenntnisse nachgewiesen werden müssen und hierdurch der Versorgung mit einer Braillezeile nichts im Wege steht.

Viele sind der Ansicht, dass es auch einen Anspruch auf Texterstellung und -Bearbeitung, Internet und Email-Kommunikation gibt, dem ist aber nicht so. Wird bei der Beantragung neben einer ärztlichen Verordnung eine selbst formulierte Begründung mit eben diesen Argumenten beigefügt, lehnt manche Krankenkasse sogar die Versorgung ab, da der geforderte Bedarf den Vorgaben im Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen übersteigt. Der Versicherte hat allerdings bei vielen Krankenkassen die Möglichkeit, einer höherwertigen Wunschversorgung zuzustimmen, muss dann allerdings den finanziellen Mehraufwand selbst tragen. Dies bedeutet, dass die Krankenkasse die Kosten bis zum Lesesystem trägt, alles Weitere trägt der Versicherte, eine eventuelle Rückerstattung dieser Kosten ist allerdings nicht möglich, beispielsweise dann, wenn das System nicht mehr benötigt und zurückgegeben wird. Die höherwertige Wunschversorgung fließt in das Hilfsmittel mit ein, dabei bleiben die Eigentumsverhältnisse unberührt.

Es gibt sehr unterschiedliche Verfahrensweisen, wie die gesetzlichen Krankenversicherer den Versorgungsanspruch mit einem Vorlesegerät Gerecht werden. Viele Krankenkassen haben Verträge mit ausgewählten Lieferanten geschlossen, um einen reibungslosen Ablauf und günstige Einkaufspreise durch größere Abnahmemengen zu erzielen. Bei dem sogenannten Kauf-Wiedereinsatz kümmern sich diese Lieferfirmen um die komplette Abwicklung, prüfen den Lagerbestand, warten vorhandene Geräte und teilen diese auf die Versicherten zu. Dies kann logistisch sehr aufwendig sein, wenn beispielsweise ein in Rosenheim abgeholtes System in Flenzburg wieder eingesetzt werden soll. Für den Versicherten besteht auch der Nachteil, dass nicht unbedingt das von ihm gewünschte System auch bewilligt wird, wenn ein gebrauchtes, überholtes System am Lager ist. Die Krankenkassen wollen auf diese Weise budgetieren und gehen (nach den Vorgaben übrigens zurecht) davon aus, dass die Systeme technisch alle vergleichbar sind. Die Geräte gehören in diesem Fall stets der Krankenkasse. Ein weiteres Verfahren ist das sogenannte Dienstleistungskonzept. Hierbei wird komplett dem Hersteller die Abwicklung überlassen, der auch das Eigentum am gelieferten Hilfsmittel behält. Dieser verpflichtet sich, für einen Zeitraum von fünf Jahren, pauschal dem Versicherten ein funktionierendes System zur Verfügung zu stellen, das während dieser Zeit auch von ihm gewartet werden muss. Die Antragsstellung ist mittels Versorgungsanzeige relativ einfach, der Lieferant reicht die Verordnung ein und die Krankenkasse hat drei Werktage Zeit, dieser zu widersprechen, andernfalls wird die Versorgung durchgeführt. Dieses Verfahren ist logistisch sehr praktisch und mit einem recht geringen Verwaltungsaufwand verbunden. Nach Ablauf des Versorgungszeitraums wird mit einer Anschlusspauschale die Versorgung um weitere fünf Jahre verlängert. Nachteil für den Kunden ist allerdings, dass er keinen Anspruch auf ein Neugerät hat, der Vorteil hingegen ist, dass ihm und dem Hersteller relativ freie Hand bei der Auswahl des Systems gelassen wird. Da die Kosten zumeist deutlich günstiger sind, als der reine Anschaffungspreis, erfährt der Lieferant erst nach der Anschlusspauschale einen wirtschaftlichen Vorteil. Kompliziert kann es werden, wenn der Versicherte ein System haben möchte, für das die Krankenkasse keinen Lieferanten hat bzw. was der Krankenkasse aufgrund der Beschaffenheit nicht genügt. Im Einzelfall wird vereinbart, dass die Krankenkasse eine Pauschale direkt an den Versicherten zahlt und dieser dann selbst den Aufpreis für sein Wunschsystem trägt. Diese Pauschalen sind aber oftmals so gering, dass die Aufpreise mehrere tausend Euro betragen können. Einzige Entschädigung ist, dass das System dann im Eigentum des Versicherten verbleibt, er allerdings dann auch für künftige Wartungskosten selbst einstehen muss.

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