Test: Braillezeilen HumanWare BRAILLIANT BI-40X, BI-20X und Mantis Q40

Letzte Aktualisierung am 30. Mai 2025

Mit den Braillezeilen BRAILLIANT BI-40X, BI-20X und Mantis Q40 hat der kanadische Traditionshersteller HumanWare seit einigen Jahren drei Produkte für fast jeden Anspruch im Sortiment. Sie können allerdings noch mehr, als nur Text vom Computer anzeigen und basieren im Kern vermutlich auf einem Android-ähnlichen System. Was diese können und für wen sie geeignet sind, erfahrt Ihr in diesem Test. Vorweg noch was Anderes, ein Video zur Software HumanWare Prodigi, eine Art virtuelles Lesegerät mit Vorlesefunktion für Windows.


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Die drei Braillezeilen von HumanWare sind unter Anderem bei der Rehan Medizingeräte Handels GmbH in Essen erhältlich und können über gesetzliche Krankenkassen in Deutschland finanziert werden.

Hier geht es zur englischen Herstellerseite.

Wer ist HumanWare?

HumanWare stellt seit über 35 Jahren Produkte für Blinde und Sehbehinderte her und bündelt das Knowhow einiger wegweisender Hersteller. In Deutschland wurde HumanWare vor Allem durch seine DAISY-Player der Victor Reader Familie und die Navigationsgeräte der Trekker-Serie bekannt. Darüber hinaus bietet der Hersteller tragbare Lupen, Bildschirmlesegeräte und Brailledrucker an, teilweise zugekauft. Die Zusammenarbeit mit Blindenorganisationen in den USA und Europa schärft die Kompetenz weiter, so wurden die Organizer auf Android-Basis mit blinden Ideengebern entwickelt. Die Marke BRAILLIANT gibt es schon länger, selbst im Apple Store fand sich die BRAILLIANT 32 als Zubehör für Barrierefreiheit. Die ersten Versionen wurden von BAUM in Deutschland entwickelt, das hat sich spätestens nach deren Insolvenz geändert.

HumanWare BRAILLIANT, Victor Reader Stream 3 und StellarTrek

Was sind Braillezeilen?

Genau genommen handelt es sich bei Braillezeilen um alternative Displays für blinde Anwender, welche die Textinhalte in Brailleschrift darstellen und zugänglich machen. Das erfordert die Fähigkeit der Computer oder Smartphones, alternative Inhalte mithilfe von Screenreadern auszugeben, teils integriert, teils optional und mitunter recht kostspielig. Ohne Screenreader ist eine Braillezeile abseits der integrierten Funktionen nutzlos, mit iPhone, iPad, Mac und PC lassen sie sich sofort nutzen. Mit ChromeBook und Android wird es etwas komplizierter, dazu später mehr. Allgemeine Infos über Braillezeilen und Screenreader findet Ihr hier.

Verschiedene Braillezeilen

Das universelle Blindenhilfsmittel gibt es nicht oder nur selten, so hat jeder ganz individuelle Anforderungen. Das beginnt bei der Texteingabe, manche bevorzugen Braille, andere wiederum gewöhnliche Tastaturen. Heutzutage dominieren Mobilgeräte den Markt, so dass Braillezeilen besonders kompakt sein sollen, aber klassische Arbeitsplätze möchte man jedoch genauso bedienen. Allerdings nur bis maximal 40 Zellen, typische 80er Braillezeilen werden von HumanWare nicht mehr angeboten. Das ist die Folge des Weltmarktes, denn auch wenn wir in Europa Braillezeilen mit 80 Modulen im Arbeitsplatzumfeld noch häufig antreffen, sinkt die globale Nachfrage.

HumanWare Monarch

Stattdessen nimmt das Angebot und Interesse an Grafikdisplays zu und stellt oberflächlich betrachtet gewöhnliche Braillezeilen in Frage. Bei genauerer Betrachtung und derzeit uneinheitlichen Grafikstandards, verbunden mit einer sehr groben und eher die Fantasie anregenden und wenig detaillierten Darstellung sind Braillezeilen für die reine Textarbeit nach wie vor unerlässlich. Mit den Modulen von Dot Inc. Ist das Grafikdisplay Monarch von HumanWare ausgestattet, es basiert auf Android, läuft somit eigenständig und kann sogar Fingerbewegungen erfassen und rückmelden. Neuerdings wird es vollständig vom Screenreader JAWS unterstützt. Preislich bewegen wir uns dann allerdings in der Region eines Kleinwagens, also nicht für den Privatgebrauch gedacht.

Dot Inc. DotPad 320A

Alternativ kann man mit einem ursprünglich fast genauso teuren DotPad 320A von Dot Inc. rund 300 Braillezeichen gleichzeitig darstellen, also mehr als eine gesamte Textzeile in einem Word-Dokument, allerdings ohne nützliches Cursor-Routing zum Anspringen einer bestimmten Stelle. Zudem sind Grafikdisplays recht klobig und eignen sich für Mobilgeräte eher weniger als die HumanWare BI-20X. Ein weiteres Problem des DotPad 320A ist, dass man beim Bildaufbau die Punkte nicht berühren darf, ansonsten gibt es Darstellungsfehler. Diese Probleme und die Aufbaugeschwindigkeit wurden allerdings mit dem DotPad X gelöst, das mit unter 6.000 Euro zumindest konkurrenzfähig zu 40stelligen Braillezeilen ist. Aber auch dieses bietet wie der Vorgänger keine internen Funktionen, beispielsweise zum Lesen von Texten, ebenso kein Cursor-Routing. In künftigen Versionen des Screenreaders NVDA wird das DotPad fest integriert sein, das könnte recht spannend werden.

Gemeinsamkeiten und Unterschiede von BRAILLIANT BI-X und Mantis Q40

Auf den ersten Blick unterscheiden sich die drei Modelle zunächst nur in Tastatur und Größe. Die Mantis Q40 tanzt aufgrund ihrer vollwertigen Tastatur aus der Reihe, die sich übrigens auch zur Brailleeingabe umschalten lässt. In diesem Modus schreibt man die Punkte 7, 3, 2, 1 und 4, 5, 6, 8 mit den Buchstaben A, S, D, F und J, K, L, Ö und benutzt weiterhin die vorhandene Leertaste. Damit hat man vor Allem bei reiner Brailleeingabe die notwendige Flexibilität und im internen Modus lässt sich die Eingabemethode auf Knopfdruck wechseln. Andernfalls kann man interne Befehle mit Fn+F3 durchreichen. Von der Größe erinnert das Gerät an ein kompaktes Notebook.

HumanWare Mantis Q40 bei Rehan auf der SightCity 2025

Dafür fehlen der Mantis Q40 interne Lautsprecher und Mikrofon, so dass als Audioausgabe Bluetooth genügen muss. Das interne Drahtlosmodul kommt mit Bluetooth 4.2 und Wi-Fi mit 2,4 GHz. An der Entwicklung beteiligt war übrigens das American Printing House fort he blind aus den USA (APH), so dass die Zeile im Handbuch als APH Mantis Q40 bezeichnet wird. DAISY-Bücher können in der Bibliothek gespeichert und über Bluetooth abgespielt werden, man kann sie allerdings nicht über DAISY-Online direkt laden. So kopiert oder hört man sie von USB oder verbindet das Gerät als MTP-Device mit dem Rechner.

HumanWare Brailliant BI 20x

Die HumanWare BI-20X ist deutlich kompakter, kommt mit einem kleinen Monolautsprecher auf der rechten Seite, Mikrofon und dem gleichen Funkmodul. Dafür ist sie spürbar dicker als die flache Mantis Q40 und ein Wenig als die dazwischenliegende BI-40X, was aber nicht auffällt. Weiterhin ist der Victor Reader integriert, so dass über die Wi-Fi-Schnittstelle auch Zeitschriften und Hörbücher direkt mit DAISY-Online von allen Hörbüchereien und weiteren internationalen Diensten wie Bookshare, NFB NewsLine, NLS Bart und eole bezogen werden können. Vorbereitet für DAISY-Braille ist sie außerdem, das freut Punktschriftleser. Vom Design ist sie eher kantig und zu den Seiten hin abgeflacht. Wie auch die Mantis Q40 bietet sie auf der Hinterseite einen SD-Karten-Schacht auch für SDXC-Karten mit 1 TB Speicher (selbst probiert), sowie einen USB-Host-Anschluss für Datensticks. Über den Dateimanager können diese hin und her kopiert werden. Im Gegensatz zu den anderen Modellen verfügt die kleine über 16 anstelle von 32 GB Speicherplatz, den man mit einer SD-Karte großzügig erweitern kann. An Arbeitsspeicher stehen 512 MB bei allen Modellen zur Verfügung und ein recht zügiger ARM-Prozessor, der wohl bei der BI-40X noch etwas schneller sein soll. Im Direktvergleich konnte ich allerdings zwischen BI-20X und BI-40X keine Unterschiede in der Verarbeitungsgeschwindigkeit ausmachen. Selbst das Laden größerer Dateien oder Kopieren verläuft gefühlt gleich schnell.

HumanWare BRAILLIANT BI-20X Verpackung

Rekordverdächtig ist hingegen die recht voluminöse Verkaufsverpackung, die genau wie bei der BRAILLIANT BI-40X bedruckt ist. Dreistöckig verbirgt sie das Zubehör, wie kleines Schaltnetzteil, USB-A auf USB-C-Kabel, Tasche, Umhängeband und im Innern ganz schön viel Luft. Das Zubehör deckt sich bis auf die Tasche mit allen Zeilen und eine Kurzanleitung in Braille gehört ebenfalls zum Lieferumfang. Bei der Mantis Q40 handelt es sich hingegen um eine flachere, braune Pappschachtel, der Karton der BI-40X ist dafür nur etwas größer als die Braillezeile selbst.

HumanWare Brailliant BI 40X

Die BRAILLIANT BI-40X stellt die Speerspitze dar und fällt vom Design positiv aus der Rolle. Das integrierte Funkmodul bietet neben Bluetooth 5 auch Wi-Fi mit 2,4 und 5 GHz. Dafür muss auf einen SD-Kartenschacht verzichtet werden. Die Stereolautsprecher sind nach oben ausgerichtet und haben einen homogeneren Klang als bei der BI-20X, für Sprache in ruhiger Umgebung sind sie ausreichend, insgesamt aber nur minimal lauter. Das Mikrofon befindet sich rechts oben und ist derzeit wie bei der BI-20X funktionslos. Die Möglichkeit von Sprachnotizen wäre schön, kommt aber vielleicht ja noch. Die Kanten sind zu den Lengsseiten deutlich abgerundet als bei der BRAILLIANT BI-20X und sie wirkt schnittiger, das gilt auch für die eher schmalen und länglichen Leertasten, die in einer glatten, zur Front leicht geschwungenen Leiste eingefasst sind. Diese erhöht zudem die Ergonomie beim Lesen auf dem Tisch, was bei der kleinen weniger eine Rolle spielt. Sie ist dafür griffiger und man kann sie auch zwischen Daumen und Fingern halten. Bei der BI-20X sind die Leertasten eher rechteckig mit Fingermulde und in einer großflächigen, trapezförmigen Aussparung angeordnet. Das hat den Vorteil, dass sie nur minimal über dem Gehäuserand stehen, das verhindert die potentielle Fehlbedienung. BAUM-Nutzer werden vermutlich die Displaytasten der BRAILLIANT BI-40X zu schätzen wissen, die bei den anderen Modellen fehlen. Diese jeweils drei Tasten befinden sich übereinander angeordnet links und rechts neben der Braillezeile.

HumanWare BRAILLIANT Schutztaschen

Bei den Bereitschaftstaschen gibt es ebenfalls Unterschiede. Die von Innen beflockte TPU-Tasche der BI-40X wird mit einem breiteren Tragegurt geliefert und fühlt sich außen wie Kunstleder an, die Tasche der BRAILLIANT BI-20X besteht aus einem robusten Kunststoff. Die Deckel lassen sich auf die Rückseite umklappen und werden magnetisch fixiert, so eignen sich beide Braillezeilen gut als tragbares Notizgerät. Das Trageband wird an der Tasche befestigt und kann bei der BI-20X alternativ auch durch seitliche Löcher an der Braillezeile durchgefädelt werden. Die Mantis Q40 kommt mit einem Hardcover zum Schutz der Seiten und Rückseite, eine Lederhülle zum Einstecken ist optional von HumanWare erhältlich. Einen kleinen Nachteil birgt dieses Cover, denn der Einschalter ist dadurch ziemlich schwer zu drücken. Auf der SightCity hat mich das genervt und so habe ich die Mantis Q40 zum Einschalten immer aus dem Cover geholt.

HumanWare Mantis Q40 Ledertasche

Zusammengefasst hir nun die Abmessungen (B x T x H) und Gewichte nach Größe geordnet:

  • BRAILLIANT BI-20X: 182 x 93 x 23 mm, 400 g
  • BRAILLIANT BI-40X: 304 x 89 x 20 mm, 690 g
  • APH Mantis Q40: 290 x 170 x 20 mm, 950 g

Ein BRAILLIANT-Rundgang

Auf der linken Seite wird der Einschalttaster von den USB-A-Host und USB-C-Buchsen zum Laden und für die Datenübertragung flankiert. Außer bei der Mantis Q40 finden wir rechts die Lautstärketasten und dahinter eine Headset-Buchse. Haptisch sind sich die Mantis Q40 und BI-20X recht ähnlich, beispielsweise die Punktmarkierung auf der Einschalttaste. Alle Modelle sind in ihrer Menüstruktur fast gleich aufgebaut und unterscheiden sich lediglich in kleinen Details. So verfügt die BI-40X zusätzlich über die Möglichkeit, die erwähnten Displaytasten anzupassen. Funktionen gehen aber nicht verloren, weil sich alle über die Fronttasten (hoch, runter, links und rechts) bzw. über Tastenkombinationen (Brailleprofil umschalten, Auto-Scroll-Funktion) anwählen lassen. Bei der Mantis Q40 fehlt der Menüpunkt Victor Reader, dieser heißt hier Bibliothek und listet alle vorhandenen Bücher auf. Die Tastenkombinationen sind zwar anlehnend an die Versionen mit Brailletastatur, aber dann in Kombination mit den Sondertasten zu erreichen. Weil mir die Mantis Q40 nur auf der SightCity vorlag, seht Ihr in den Bildern nur die BRAILLIANT.

HumanWare BRAILLIANT linksHumanWare BRAILLIANT rechts

Die Hauptnavigation bei allen Modellen findet über die vier Fronttasten statt, die zusätzlich bei der BRAILLIANT BI-20X einen haptisch fühlbaren Strich am Rand haben, je nachdem, in welche Richtung es geht. Während die äußeren werkseitig die Zeile wechseln, sind die inneren für die so genannte Breite zuständig, also das Weiterschalten zu den nächsten 20 respektive 40 Zeichen in der Zeile. Mittig davon befindet sich die kleine, runde Home-Taste. Einzeln gedrückt führt diese zum Anfang ins Hauptmenü, kombiniert mit den äußeren Navigationstasten lassen sich schnell alle verbundenen Geräte im Terminal-Modus durchschalten.

HumanWare BRAILLIANT Vorderseite

Wie die Displaytasten bei der BI-40X lassen sich die Fronttasten in ihrer Belegung ändern und die Brailletasten zum Einhandmodus umschalten. Allerdings ist diese Änderung beschränkt auf die übrigen Tasten, so könnte man jetzt die inneren und äußeren und links und rechts vertauschen. Das gilt ähnlich für die Displaytasten der BRAILLIANT BI-40X, HumanWare nennt diese Befehlstasten. Sie lassen sich allerdings nur mit den Braillepunkten, Rück- und Leertaste sowie mit Eingabe ersetzen, den Sinn darin verstehe ich nicht wirklich. Auf der Oberseite finden wir die recht leise und Im Tippgefühl wirklich gut ansprechende Brailletastatur mit zwei Leertasten, das gilt natürlich nicht für die Mantis Q40. Aber auch die QWERTZ-Tastatur überzeugt mit einem guten Tippgefühl und ist in der Ansprache recht leise. Jammern auf hohem Niveau wäre, dass sie unter leichtem Druck etwas nachgibt, das ist jedoch konstruktionsbedingt und kein Makel. Die äußeren Tasten bei den BI-X-Modellen sind nach dem „Perkins-Style“ belegt und für Rückschritt und Zeilenschaltung zuständig, bzw. zum Schreiben der Punkte 7 und 8. Die Leertasten der BI-40X sind etwas lauter, die der BI-20X auf dem Niveau der Schreibtasten.

HumanWare BRAILLIANT BI-40X Funktionstasten

Die Tastatur der Mantis Q40 ist nur grundlegend markiert, in der oberen Reihe Escape, F4, F8 und F12, F und J, sowie Pfeil runter. Wer mehr will, muss selbst Hand anlegen. Weil Screenreader mit Normaltastaturen wenig anfangen können, verbindet sich die Braillezeile zusätzlich als normale Bluetooth- bzw. USB-Tastatur. Das hat natürlich den unschätzbaren Vorteil, dass man den Screenreader im Zweifel damit starten kann und eine Tastatur somit überflüssig wird. Zumindest fast, denn leider fehlt eine Größer-Kleiner-Taste, ein Umstand vieler eingedeutschter Tastaturen. Hier muss man sich entweder mit der spontanen Umschaltung in den Brailleeingabemodus behelfen oder mit einem Keychanger die Tastenbelegung selbst anpassen. Da man aber diese in der Regel nicht so häufig braucht, dürfte das für die meisten Anwender zu tolerieren sein. Immerhin bekommt man ein schlankes Gesamtpaket bestehend aus Tastatur und Braillezeile. Hingegen funktionieren die Brailletasten der anderen nur bei aktiviertem Screenreader, am Computer ist also eine Tastatur notwendig. Am Arbeitsplatz entnimmt man die BRAILLIANT BI-40X der Tasche, dann ist sie etwas flacher. Zweites Cursor-Routing, wie man es von ALVA oder Papenmeier kennt, gibt es bei HumanWare nicht. Manchmal wäre das praktisch, beispielsweise um Zeichenattribute anzeigen zu lassen, hier muss notfalls die Tastenkombination des Screenreaders abhelfen.

HumanWare Mantis Q40

HumanWare nennt den Betrieb als Braillezeile Terminal-Modus. Das ist auch der erste Menüpunkt und es ist auf Wunsch möglich, die Zeile direkt darin starten zu lassen, per USB angeschlossen wechselt sie automatisch direkt dorthin. Es können gleichzeitig fünf Bluetooth-Geräte zusätzlich angesteuert werden, das sollte auch den anspruchsvollsten Nutzern genügen. Bestellt man die Zeilen im so genannten Government-Mode, sind die internen Funktionen komplett deaktiviert. Ein Prüfungsmodus kann mit einem Sperrcode verhindern, dass man auf Dateien und interne Funktionen zugreifen kann.

HumanWare BRAILLIANT aufeinander

Ein bislang noch nicht erwähnter Punkt ist die integrierte Sprachausgabe. Das kennt man von anderen HumanWare-Geräten, zwei Stimmen in allen möglichen Sprachen lassen sich installieren. Mit der neuen Firmware-Version Ende 2024 hat die Mantis Q40 nun auch die Sprachausgabe erhalten, die prinzipbedingt nur über Bluetooth hörbar ist. Bei den anderen war diese schon über die Lautsprecher nutzbar, Bluetooth-Audio wurde hier mit dem Update auch nachgerüstet. Dabei handelt es sich um die Stimmen von Acapela, konkret Andreas, Claudia und Julia für Deutschland. Man kann zwei deutsche oder Stimmen in ganz anderen Sprachen installieren, aber um eine auszutauschen, muss eine zunächst entfernt werden. Die Anzahl der Brailletabellen und Kürzungsgrade ist unerschöpflich, diese lassen sich mit den Lesestimmen in Brailleprofilen definieren und schnell umschalten. Die Sprachausgabe kann in den Menüs und im Texteditor verwendet werden und ganze Bücher in variabler Sprechgeschwindigkeit vorlesen, sie kann auch bei der Eingabe unterstützen oder das Wort unter dem Cursor ansagen. Mit Screenreadern ist diese nicht nutzbar. Im Brailleeditor ebenso wenig, weil man hier die Zeichen eingibt und keine Rückübersetzung erfolgt. Für die deutschen Braillezeilenversionen ist übrigens RTFC von Wolfgang Hubert freigeschaltet, der wohl beste, deutschsprachige Kurzschriftübersetzer. Alternativ steht Liblouis (Open Source und nicht perfekt), sowie Duxbury zur Verfügung. Dabei ist es Möglich, Texte in alle Richtungen umzuwandeln. Während man im Brailleeditor Kurzschrift eingibt und am Ende auch eine Brailledatei erhält (wahlweise, kann man im Editor den Kurzschrifttext als normalen Text abspeichern und weiterverarbeiten (Kurzschrift-Rückübersetzung). Wer gerne liest, kann die von BAUM bekannte Auto-Scroll-Funktion aktivieren, dann schaltet die Braillezeile nach einer fest eingestellten Zeit automatisch weiter. Das Hauptmenü ist anpassbar, hier können nicht benötigte Elemente, wie die amerikanischen Lesedienste, Ausgeblendet werden. Das kann die Übersicht mitunter erleichtern. Seitdem ich die BRAILLIANT BI-40X verwende, kamen bereits einige Firmware-Updates, die über WLAN automatisch geladen werden können.

Die Braillezeilen in der Praxis

Aufgrund der internen Intelligenz benötigen die Braillezeilen einen Moment, bis sie gestartet sind. Ein hübsches Detail ist der umlaufende Punkt hinter der Startanzeige, das macht haptisch und optisch was her und gibt Feedback, dass irgendwas passiert. Gleiches gilt für Wartezustände, hier bewegen sich die drei Punkte dahinter und die Sprachausgabe meldet sich periodisch alle paar Sekunden. Das Menü ist aufgeräumt und leicht verständlich, lediglich bei der Zeiteinstellung muss man etwas knobeln. Im Rechner wird Computerbraille verwendet, das muss man natürlich beherrschen. Schön ist, dass die Tastenkombinationen im Menü auch angezeigt werden, welches man mit Leertaste+M erreicht. Vergisst man beispielsweise die Tastenkombination zum Erhöhen der Sprechgeschwindigkeit (Eingabe+Punkt 5), kann man dies im Menü auffinden samt der zugehörigen Tastenkombination. Das gilt genauso für Dateioperationen, wobei Kopieren mit Rücktaste+Y ausgelöst wird, aber Ausschneiden mit X und Einfügen mit V. Diese kleine Abweichung muss man sich einfach merken. Das gilt überhaupt für die teils recht kryptischen Tastenbelegungen, die in Kombination mit Rücktaste, Eingabe und Leertaste erfolgen. Nicht immer erschließt sich auf Anhieb, was man wie drücken muss, beispielsweise die neue Wikipedia-Suche wird mit Eingabe+W geöffnet. Dann wird das im Text unterlegte Wort übernommen oder man kann direkt ein Wort eingeben und danach suchen. Es ist also nicht immer ganz klar, welche Hilfstaste man drücken muss, so startet man das Vorlesen ab der Stelle mit Leertaste und den Punkten 1 bis 6. Da hätte ich instinktiv irgendwie erwartet, dass auch die anderen Sprachausgabenbefehle mit der Leertaste erreichbar sind. Lediglich das temporäre Aus- und Einschalten erfolgt mit Leer und linker Navigationstaste, auch darauf muss man erstmal kommen. Nach meiner Einschätzung liegt das am wachsenden Funktionsangebot. Man beginnt schließlich irgendwann mit einem Organizer und da war HumanWare mit dem BrailleNote schon vor über 20 Jahren mit dabei. Daraus folgt, dass man den Stammbenutzern eine gewohnte Umgebung bieten möchte, aber zugleich neue Features einer Tastenkombination uweist. Dass das irgendwann aus dem Ruder gerät, ist unvermeidlich.

HumanWare Victor Reader Stream 3

Die DAISY-Funktion ähnelt dem Vorlesemodus für Bücher, nur das hier das Audio abgespielt wird. Die Vorlesegeschwindigkeit und Ebenen lassen sich über Tastenkombinationen wechseln, auf der Braillezeile wird dann allerdings kein Text angezeigt. Das soll mit DAISY-Braille anders werden, dann dürfte man wie bei der DAISY-Produktion Braille und Audio synchron lesen können. Bei den meisten Hörbüchereien liegt zwar ein Originaltext vor, der allerdings nicht im Zielformat eingebettet ist. Weitgehend kann man das mit dem Victor Reader Stream vergleichen, obwohl Braille als weiterer Ausgabemodus zur Verfügung steht. Die DAISY-Bücher lassen sich auch von Hand auf die Braillezeilen kopieren und entsprechend sichern, sowohl auf SD-Karte, als auch auf USB-Stick.

Im Terminalmodus als Braillezeile funktioniert sie am Mac, unter Windows mit NVDA, JAWS und Supernova, am iPad und iPhone. Auch wenn es die BRAILLIANT-Modelle schon eine Zeit lang gibt, sind sie mit HID-Braille recht modern ausgestattet. Das ist für Apple und BRLTTY kein größeres Problem, überhaupt wird Apple künftig nur noch HID-Braille unterstützen. Allerdings gibt es mit ChromeBooks und Android einige Einschränkungen, die man wissen sollte. Das derzeit aktuelle TalkBack unterstützt zwar HID-Braille, aber über Bluetooth erst ab Android 15. Das bedeutet, dass man bei älteren Geräten ein USB-C-Kabel nutzen muss, dann klappt das auch. Wer ein Update auf Android 15 erhält, bekommt dann auch HID-Braille in den Bluetooth-Stack. Wer allerdings nicht, hat das Nachsehen. Am ChromeBook ist es spannender, denn hier soll ChromeVox grundsätzlich Bluetooth-Braillezeilen unterstützen. Hier konnte ich weder die BRAILLIANT-Zeilen, noch die ältere und eigentlich kompatible VisioBraille VarioUltra drahtlos verbinden, die ihrerseits ab MacOS Sonoma nicht mehr drahtlos funktioniert. Mit Kabel klappt auch hier die Verbindung zu allen Braillezeilen. Kleiner Fun Fact: Mein kleines Acer ChromeBook CP-312 konnte per USB-Kabel sogar eine VisioBraille VarioPro2 speisen und mit Daten versorgen.

HumanWare BRAILLIANT BI-40X und VisioBraille VarioUltra 40

HumanWare hat vereinfachte Versionen einiger Anwendungen aus den hauseigenen Android-Organizern implementiert, wie den Text- und Brailleeditor, Dateiverwaltung und Rechner. Besonders der Brailleeditor ist interessant, denn hier arbeitet wie erwähnt die Sprachausgabe nicht mit und jedes Zeichen wird so abgespeichert, wie man es eingibt. Dabei steht auch Unicode für eine größtmögliche Kompatibilität zur Verfügung. Leider verhält sich dieser Editor nicht wie eine Brailleschreibmaschine, so dass man nicht virtuell auf der Seite ein Zeichen einfach anspringen und überschreiben kann. Das verwundert etwas, denn ist das doch genau der Vorteil einer Schreibtafel oder Punktschriftbogenmaschine. Im Dateimanager lassen sich PDF-, EPUB-, DAISY-, HTML-, Text- und Brailledateien öffnen und bequem lesen. Besonders hier spielt die BI-20X für unterwegs ihre Fähigkeiten aus und macht sie zum kompakten eBook-Reader. Dass DAISY-Bücher mit MP3-Struktur abgespielt werden, aber sich normale MP3-Dateien nicht öffnen lassen, ist etwas unverständlich. Auch hätte man neben DOCX auch XLSX implementieren können, denn das kennen die Nutzer von BAUM/VisioBraille von der VarioUltra. Abgesehen von den kleinen Einschränkungen gibt es noch eine weitere, so fehlt ein Cursorkreuz, was besonders bei der Navigation mit Mobilgeräten praktisch wäre. Schlimm ist das allerdings nicht, denn die Funktionen lassen sich über Tastenkombinationen trotzdem erreichen und Nutzer der Mantis Q40 haben ohnehin Pfeiltasten. Als Umsteiger von einer VarioUltra ertappe ich mich allerdings häufig, spontan die Home-Taste zu drücken, weil ich an dieser Stelle den NaviStick vermute.

HumanWare BRAILLIANT Unterseite

Die Akkus lassen sich übrigens bei Bedarf wechseln, dazu müssen zwei Philips-Schrauben des Akkufachdeckels gelöst werden. Die Haptik und Zuverlässigkeit ist insgesamt sehr gut, auch wenn ich anfänglich einige unschöne Erlebnisse mit der BI-40X hatte, die zweimal getauscht werden musste. Nach intensiver Recherche handelte es sich jedoch um unglückliche Einzelfälle, zumindest berichteten befreundete Händler nichts Vergleichbares. Haptisch knarzt und klappert nichts, das raue Kunststoffgehäuse ist solide und robust verarbeitet. Trotzdem bewegen sich die Braillezeilen in einem insgesamt günstigen Preisgefüge, was man ihnen allerdings nicht ansieht. Die Übersetzung ins Deutsche der Handbücher ist nicht perfekt, aber durchaus zufriedenstellend, manches könnte sicher etwas schöner formuliert sein. Ohne Taschen liegen die Mantis Q40 und BRAILLIANT BI-20X auf Gerätefüßen, bei der BRAILLIANT BI-40X hat man wie bei der ALVA BC-640 zwei breitere Gummipads auf den Seiten angebracht, so liegt sie rutschsicher am Arbeitsplatz.

Fazit

HumanWare hat im Ergebnis alles richtig gemacht. Einige Zusatzfunktionen, aber nicht zu viele. Sicher wären ein einfacher Browser oder E-Mail-Client eine nette Beigabe, aber man muss sich schließlich auch von den Organizern etwas abgrenzen und die Zuverlässigkeit sollte gewahrt bleiben. Die Brücke zwischen beiden Welten zu schlagen ist HumanWare durchaus gelungen, auch wenn sie damit nicht die einzigen am Markt sind. Eurobraille, HIMS und Help Tech bieten ähnliche Konzepte an, teils mit sogar noch mehr Ausstattung wie Musiknotation, dann aber teils zu deutlich höheren Preisen. Wenn man diese Vielfalt sucht, sollte man ruhig auch einen Blick auf die vollwertigen Brailleorganizer lenken. Hier ist jedenfalls alles Nötige dabei, was man braucht. Als nachteilig empfinde ich die fehlende Möglichkeit, Excel-Dateien zu öffnen und MP3-Dateien abzuspielen. Gerade letzteres wird doch technisch bereits ermöglicht und ebenso wäre eine Aufnahmefunktion denkbar, aber vielleicht legt HumanWare hier noch nach. Abgesehen davon sind alle drei Braillezeilen gut und in der Haptik so verschieden, dass man alle Bedarfe damit abdecken kann. Der Verzicht auf Bluetooth 5.0 bei der Mantis Q40 und BRAILLIANT BI-20X ist Angesichts des Speicherkartensteckplatzes zu verschmerzen, ebenso der geringere Systemspeicher bei der BI-20X. Genau genommen lassen sich diese durch SD-Karten schnell um 1 TB erweitern und überflügeln damit die BRAILLIANT BI-40X sogar, muss dann aber mit einem Monolautsprecher leben. Im Ergebnis hat jede so ihre Vor- und Nachteile, die aber Angesichts des Gesamtpakets durchaus zu verschmerzen sind.

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