Test: Hable One, eine Brailletastatur für Smartphones

Letzte Aktualisierung am 11. Juli 2024

Immer wieder erstaunt schaue ich auf sehende Smartphone-Nutzer, wie intuitiv und schnell sie Texte über ihre Bildschirmtastaturen eingeben. Tipphilfen, Autokorrekturen und Swipe-Gesten machen es möglich. Zwar ist die blinde Bedienbarkeit Dank integrierter Screenreader wie VoiceOver und TalkBack grundsätzlich kein Problem, aber dennoch sind Bildschirmtastaturen für diese Zielgruppe nicht immer ein Segen. Mit dem Hable One will nun eine Brailletastatur aus den Niederlanden das Problem der Texteingabe erleichtern und das in einem sehr kompakten und leichten Formfaktor. Zugegeben, das Hable One ist jetzt einige Zeit am Markt und es gab bis jetzt mehr Tiefen als Höhen. Doch mit Unterstützung vieler sehbehinderter und blinder Nutzer konnten inzwischen sämtliche Zeichensatzprobleme gelöst und das Produkt weiter optimiert werden. Dank Firmware-Update per App ist es auch für die Zukunft gerüstet.

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Was ist eine Brailletastatur?

Während eine herkömmliche Tastatur über ein Buchstaben- und Ziffernfeld verfügt, nutzt eine Brailletastatur die Blindenschrift und erlaubt die Texteingabe über sechs Tasten plus Leer- und Rücktaste. Aktuell versuchen eine Reihe solcher Brailletastaturen den Markt zu erobern, dabei ist die Idee nicht ganz neu. Früher gab es für Blindenarbeitsplätze diese alternative Eingabemethode beispielsweise für Anwender, die eine Schreibmaschinentastatur überfordert haben. Sie fristeten damals eher ein Schattendasein, erfreuen sich allerdings gerade im Smartphone-Zeitalter immer größerer Beliebtheit. Die Gründe sind einfach erklärt, kompakte Abmessungen und ein gewohntes Tippgefühl, denn während man mit Zifferntasten bei typischen Handys mehrfach drücken und warten musste, um einen Buchstaben zu schreiben, gelingt dies mit Brailletastaturen deutlich flüssiger. So hat mir das hier getestete Mobience RiVO 2 Keyboard grundsätzlich gut gefallen, aber die Texteingabe war mir persönlich zu anstrengend. Viele normale Bluetooth-Tastaturen waren entweder zu klein, zu unhandlich oder einfach recht teuer, so dass ich sie entweder nie mitgenommen oder gar nicht erst gekauft habe. Größere Tastaturen wird man nicht unterwegs nutzen und auch Braillezeilen mit -Tastatur passen selten in Jackentaschen, während die Hable One samt Smartphone in eine normale Hosentasche passt.

Hable One mit VisioBraille VarioUltra 20

Eine kleine Problemzone bei Brailletastaturen sind Anbindung und Eingabemethode. Man unterscheidet zwischen Blindenvoll- und -Kurzschrift, wobei Computerbraille und Grad 1 zwei weitere Formen der Texteingabe sind. Während mobile Braillezeilen und -Tastaturen, die als abgespeckte Module angeboten werden, über den Screenreader VoiceOver oder BrailleBack als Aufsatz von TalkBack angesteuert werden, arbeiten reine Brailletastaturen wie das Hable One als herkömmliche Bluetooth-Eingabegeräte und können auch ohne Screenreader genutzt werden. Beide Verbindungsarten haben Vor- und Nachteile. Bei Braillezeilen und ihren zeilenlosen Derivaten erkennen die Bildschirmleseprogramme, welche Punkte zusammen gedrückt werden und interpretieren daraus die Schriftzeichen. Die Kurzschriftübersetzung in beide Richtungen erledigt der Screenreader und die Hersteller müssen sich darum nicht kümmern. Nachteilig kann sein, dass die Verbindung nicht immer klaglos funktioniert, gerade seit iOS 15 beobachte ich hier vereinzelte Schwierigkeiten. In Verbindung mit einer Braillezeile macht diese Form der Ansteuerung durchaus Sinn und man verwandelt ein mobiles Gerät in einen kompakten Arbeitsplatz, aber das Ganze ist auch sehr kostenintensiv und tendenziell wird auch der Smartphone-Akku stärker belastet. Reine Brailletastaturen wie das Hable One verbinden sich als ganz normales Bluetooth-Eingabegerät, müssen jedoch selbst über die Intelligenz verfügen, die gedrückten Braillepunkte als Schrift- oder Sonderzeichen auszuwerten. Im Prinzip übermitteln sie die Scancodes herkömmlicher Tastaturen, die Kurzschrifteingabe ist dann nur möglich, wenn der Hersteller eine Rückübersetzung ins Gerät integriert. Der Softwareaufwand ist höher, denn Eingabefehler entstehen in der Tastatur selbst, dafür ist der Energiebedarf deutlich geringer und die Verbindung schnell aufgebaut. Treiber sind ebenfalls nicht nötig und so laufen sie an quasi jedem Gerät, welches Bluetooth-Tastaturen akzeptiert, beispielsweise auch an Computern oder smarten Fernsehgeräten.

Das Hable One und mein erster Eindruck

Beginnen möchte ich mit einer kleinen Vorgeschichte, denn das Thema Brailletastaturen beschäftigt uns intern in der merkst.de-Community schon einige Zeit. Dabei haben Probanden verschiedener Produkte ihre kurzen Eindrücke geschildert und es wurde schnell klar, dass das Hable One soweit alles richtig macht und allen bislang am besten gefällt. Oder zumindest fast, denn einige Kleinigkeiten gibt es noch zu korrigieren. Ich habe mich dann versucht über einige Produkte zu informieren, das Oskars-Projekt hatte uns Falk Rismansanj schon im Podcast über die Historie elektronischer Blindenhilfsmittel kurz vorgestellt, muss als DIY-Produkt jedoch selbst gebaut werden. Das GoBraille als weiterer Mitbewerber fiel raus, denn der Anbieter FreiesSehen e.V. konnte oder wollte mir nicht mitteilen, warum im Handbuch sämtliche CE-Deklarationen und EMV-Prüfungsberichte fehlen und auch nicht einsehbar sind. Ohne diese ist ein Verkauf in der EU nämlich nicht gestattet und disqualifiziert es damit für eine Empfehlung. Nach einer kurzen freundlichen Kontaktaufnahme durch den Hersteller landete wenige Tage später ein Hable One bei mir auf dem Schreibtisch. Super unkompliziert und an dieser Stelle besten Dank an Hable. In der schicken Verpackung, die für ein Erstlingswerk äußerst edel aussieht, findet sich ein nicht minder edel wirkendes, leichtes Kunststoffgerät. Das Hable One ist etwas kleiner als die Grundfläche eines iPhone SE 2020 und vergleichbare, durch die vier Gummifüße kann es auch als Bildschirmvorhang auf das Display gesetzt werden. Es lässt sich sowohl mit VoiceOver, als auch mit BrailleBack nutzen, hierfür muss die Betriebsart gewechselt werden. Bei anderen Betriebssystemen reduziert sich die Nutzung zum Testzeitpunkt auf die reine Texteingabe.

Hable One im Karton

Die Kopplung verlief super schnell, aber mit dem Tippen wollte es nicht so wirklich. Wohl dem, der vielleicht erst die Anleitung liest, denn es gibt eine ergonomische Logik. Im Prinzip hält man das Gerät über Kopf und so herum, dass die Tasten von einem weg zeigen, dann liegen die Finger wie bei der Grundstellung. Die Zeigefinger auf den Punkten 1 und 4, die Mittelfinger auf 2 und 5 und so weiter. Die länglichen, glatten Tasten links und rechts neben den fast senkrecht angeordneten und etwas angeschrägten Punktreihen sind die Rück- und Leertaste, bzw. Punkte 7 und 8. Ergonomisch ist das auf jeden Fall und auf dem Tisch liegend lässt sich die Ausrichtung der Punkte umschalten, das ist allerdings eher ein Kompromiss. Wirklich gut liegt es in der Hand und mit dem Netzschalter nach Oben ausgerichtet. Gegenüber, quasi auf der Unterseite, befindet sich die USB Type-C Ladebuchse, Kabel mit Stoffmantel inklusive. Updates werden ebenfalls über diese eingespielt.

Das Hable One in der Praxis

Die Punktschrifteingabe funktioniert derzeit nur mit Vollschrift und Kürzungen, wie IE, EI, ST, AU und mit Punkt 4 eingeleiTETEN Sonderzeichen, Zahlenzeichen für die Zifferneingabe und Punkte 4 und 6 bzw. 4 und 5 für die Großschreibung. Feedback gibt es über angenehm austarierte Vibrationen, die schnell erlernt werden können. Wer einen Brailleorganizer mit Kurzschrifteingabe nutzt, wird umdenken müssen, vielleicht wird eine Kurzschrifteingabe noch nachgeliefert. Ob diese allerdings nötig ist, könnte ich erst in der Praxis sagen, denn aufgrund der Komplexität der deutschen Blindenkurzschrift wären dann wohl Übersetzungsfehler kaum vermeidbar. EU-Computerbraille mit acht Punkten wäre vielleicht eine sinnvolle Ergänzung.

Hable One seitlich

Etwas knifflig sind die lang gedrückten Buchstaben für Kurzbefehle, wie H für Home, S für Status, sowie weitere für Rotor, Lautstärke, Navigation und Eingabe.  Manche werden spiegelverkehrt über das Drücken und Halten, sowie wiederholtes Drücken einer zweiten Taste ausgelöst. Navigiert wird beispielsweise durch Gedrückt halten von Punkt 7 und wiederholtes Drücken von Punkt 8, zurück geht es umgekehrt. Das muss man erlernen und die Lernkurve ist deutlich flacher als beim RiVO 2.

Hable One senkrecht

Fazit

Das Hable One hat mich persönlich ziemlich begeistert. Allerdings ist der Anschaffungswiderstand von 269 Euro größer als für eine normale Tastatur, dafür bekommt man ein kleines, flexibles Gerät, das mit Ohrhörern in Verbindung die unkomplizierte Texteingabe auf engstem Raum bietet. Keine gewöhnliche Tastatur in dieser Größe wäre nämlich vernünftig bedienbar. Wer die Brailleschrift beherrscht, kann seinen Skill mit dem Hable One verbessern und sollte in kürzester Zeit ein hohes Schreibtempo erlangen können. Im unten verlinkten Video habe ich in der Praxis die Funktionsweise im Vergleich zu üblichen mobilen Braillezeilen erläutert. Eigentlich war geplant, einen Podcast über das Hable One zu produzieren, aber hier hat Christian Stahlberg mit seinen SightViews eine großartige Beschreibung von über 50 Minuten vorgelegt, so dass ich lieber darauf verlinke.

Hier geht es zum SightViews-Podcast über die Hable One.

Hier geht es zur Homepage des Herstellers.

Das Hable One beim Deutschen Hilfsmittelvertrieb gGmbH

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