„Sie da, bitte Handy ausmachen“ oder wie die Busfahrer ein scheinbar wichtiges Ziel verfolgten

Letzte Aktualisierung am 3. Januar 2020

Es war 1994, als ich mein erstes Handy bekam und eigentlich stets bei mir trug. Das war eine Zeit, da galt man als Exot und das sollte sich auch die nächsten Jahre nicht ändern. „Ich schreie, wenn du da dran gehst“, meinte ein Schulfreund zu mir, als auf einer Party mein Handy klingelte. Gut, als Handyverweigerer ist er inzwischen wohl auch mobil versorgt und Ende der 90er waren Handys ohnehin bei der breiten Masse angekommen. Auch die Verkehrsbetriebe schienen sich für das Thema elektromagnetische Verträglichkeit zu interessieren und in Marburg, Gießen und anderen Städten, wurden plötzlich Sticker mit durchgestrichenen Handys in die Busse geklebt. Und sollte das jemand übersehen, wurde er mit einer speziell auf ihn abgestimmten Lautsprecherdurchsage des Fahrers dafür prämiert.

Eigentlich kam dieses Thema im Gespräch mit Freunden wöchentlich unter, weil immer irgendwie einer von uns dieses Schild bewusst ignorierte. Klar, wer blind ist, kann es ohnehin nicht sehen und nach heutigen Gleichstellungsgrundsätzen hätte hier auch eine barrierefreie Bekanntmachung erfolgen müssen. Aber ganz unabhängig davon war dieses Gebaren für uns als Funkamateure ohnehin absurd. Besonders nach Einführung von GPRS und Datenverbindungen, SMS und Co. Weiß jeder halbwegs gebildete Mensch, dass die Geräte fortwährend senden, beispielsweise beim Handover in eine andere Funkzelle. Und hier ließ ich mich auch immer gerne in Diskussionen verwickeln und stellte Gegenfragen, denn immerhin wohnten wir damals an der Bus-Wendeschleife und wenn das Fahrzeug vor meinem Haus parkte, war es mitunter dem Feldeffekt meiner Funkstation ausgesetzt, die mitunter auch 50 Watt netto in die Welt abstrahlen konnte. Das Handy im Gegensatz dazu lediglich maximal 2 Watt (unterschiedliche Frequenzbereiche und Modulationen mal vernachlässigt). Aber das beirrte den eifrigen Fahrer nicht, Vorschriften sind eben Vorschriften. So störte es auch nicht, wenn ein UKW-Handfunkgerät mit mehr als 4 Watt im Bus betrieben wurde – ist ja schließlich kein Handy im herkömmlichen Sinne, zumindest nach des Fahrers Verständnis. Bei einer Fahrgastumfrage wurde ich irgendwann nach meiner Meinung zu möglichen Missständen der Marburger Stadtwerke gefragt und antwortete prompt: „Diese durchgestrichenen Handy-Schilder müssten mal entfernt werden“. Daraufhin teilte mir die Fragende mit, dass bei einer Prüfung die steigende Unzuverlässigkeit der Fahrzeugtüren festgestellt wurde. Aber auch hierauf hatte ich eine Antwort, immerhin setzte Marburg damals auf Busse des belgischen Herstellers Van Hool, die vor Firmware-Bugs nur so wimmelten und ständig neu gestartet werden mussten, weil Türen nicht reagierten oder sich die Bordelektronik schlichtweg aufgehängt hat. Und das auch dann, wenn ich als einziger Fahrgast gen Endstation fuhr – nicht telefonierend versteht sich.

Heute fahren dieselben Busse immer noch in Marburg. Und bei Hochbetrieb, wenn die Studenten und Schüler stehend im Bus ihre sozialen News lesen und schreiben, sollten die erzeugten elektromagnetischen Wellen deutlich über dem liegen, was damals im Alltag möglich war. Und mir ist kein Fall bekannt, bei dem solch ein Bus zu einem Verkehrschaos führte. Übrigens hatten einige Großstädte, wie Hamburg oder Hannover, das Telefonieren explizit erlaubt und die Verantwortungen ob möglicher Probleme getragen.

Auch wenn das Ganze heute absurd erscheint, gab es dafür einen Hintergrund. Europa führte die E-Norm ein, die für Geräte im Kraftfahrzeug bindend ist. Verfügen Zubehörteile im Fahrzeug nicht über diese Zulassung, so hieß es bei manchen Herstellern, würde im Schadensfall die Garantie und Versicherungspflicht bei Erzeugung von elektromagnetischen Feldern im Fahrgastraum aussetzen. Konkret hätte dies bedeutet, dass ein Bus damals mit eingeschaltetem Handy gar nicht hätte fahren dürfen. Theoretisch hätte man sogar die Fahrgäste anhalten müssen, ihre Handys während der Fahrt auszuschalten. Das aber schien den Verantwortlichen seinerzeit offenbar zu mühsam. Während sich damals die meisten nichttechnisch bewanderten Fahrgäste der bestimmt formulierten Empfehlung des Busfahrers beugten, würden ihm heute die zivilcouragierten Fahrgäste sicher kollektiv den Vogel zeigen.

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